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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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fest?»
      «Ein Wespenstich», erwidert Renée de la Tour und befestigt eine lange Hutnadel wieder in einem eisblauen Samtkäppchen auf ihren Locken.
      «Meine Hochachtung!» Ich verneige mich vor ihr und trete auf Watzek zu. «So», sage ich, «jetzt weiß ich, wer mir seinen Schädel in den Bauch gerannt hat! Ist das der Dank für meinen Unterricht in besserer Lebensart?»
      Watzek starrt mich an. «Sie? Ich habe Sie nicht erkannt! Mein Gott!»
      «Er erkennt nie jemanden», erklärt Lisa sarkastisch.
      Watzek bietet einen betrüblichen Anblick. Dabei bemerke ich, daß er meinen Ratschlägen tatsächlich gefolgt ist. Er hat sich seine Mähne kurz schneiden lassen – mit dem Erfolg, daß Riesenfeld ihm einen härteren Schlag versetzen konnte –, er trägt sogar ein weißes, neues Hemd – aber alles, was er damit erreicht hat, ist, daß sich das Blut nur noch deutlicher darauf abzeichnet als auf einem anderen. Er ist ein Unglücksrabe!
      «Nach Hause! Du Saufaus und Raufold!» sagt Lisa und geht. Watzek folgt ihr gehorsam. Sie wandern über den Neumarkt, ein einsames Paar. Niemand folgt ihnen. Georg hilf Lotz, seinen künstlichen Arm wieder halbwegs zurechtzubiegen.
      «Kommt», sagt Ledderhose. «In meinem Lokal können wir noch trinken. Geschlossene Gesellschaf!»
      Wir sitzen eine Zeitlang mit Bodo und seinem Verein. Dann gehen wir nach Hause. Der Morgen schleicht grau herauf. Ein Zeitungsjunge kommt vorbei. Riesenfeld winkt ihm zu und kauf ein Blatt. Mit großen Lettern steht auf der Vorderseite:
      Ende der Inflation! Eine Billion ist eine Mark!
      «Nun?» sagt Riesenfeld zu mir.
      Ich nicke.
      «Kinder, es kann tatsächlich sein, daß ich pleite bin», erklärt Willy. «Ich habe noch auf Baisse spekuliert.» Er sieht betrübt auf seinen grauen Anzug und dann auf Renée. «Na, wie gewonnen, so zerronnen – was ist schon Geld, wie?»
      «Geld ist sehr wichtig», erwidert Renée kühl. «Besonders, wenn man es nicht hat.»
      Georg und ich gehen die Marienstraße entlang. «Sonderbar, daß Watzek von mir und Riesenfeld Prügel bekommen hat», sage ich. «Nicht von dir. Es wäre doch natürlicher gewesen, wenn du und er gekämpf hätten.»
      «Natürlicher schon; aber nicht gerechter.»
      «Gerechter?» frage ich.
      «In einem verzwickten Sinne. Ich bin jetzt zu müde, es herauszufinden. Männer mit kahlen Köpfen sollten sich nicht mehr schlagen. Sie sollten philosophieren.»
      «Da wirst du ein sehr einsames Leben vor dir haben. Die Zeit sieht nach Schlagen aus.»
      «Ich glaube nicht. Irgendein scheußlicher Karneval ist zu Ende gegangen. Sieht es heute nicht nach einem kosmischen Aschermittwoch aus? Eine mächtige Seifenblase ist geplatzt.»
      «Und?» sage ich.
      «Und?» erwidert er.
      «Irgend jemand wird eine neue, mächtigere blasen.»
      «Vielleicht.»
      Wir stehen im Garten. Grau rinnt der milchige Morgen um die Kreuze. Die jüngste Knopf-Tochter erscheint, halb ausgeschlafen. Sie hat auf uns gewartet. «Vater sagt, für zwölf Billionen können Sie den Grabstein zurückkaufen.»
      «Sagen Sie ihm, wir bieten acht Mark. Und auch das nur bis heute mittag. Geld wird sehr knapp werden.»
      «Was?» fragt Knopf aus seinem Schlafzimmer heraus. Er hat gelauscht.
      «Acht Mark, Herr Knopf. Und heute nachmittag nur noch sechs. Das Geld geht herunter. Wer hätte das je gedacht, was? Anstatt herauf.»
      «Lieber behalte ich ihn in alle Ewigkeit, ihr verfluchten Leichenräuber!» krächzt Knopf und schlägt das Fenster zu.

    XXV

    Der Werdenbrücker Dichterklub gibt mir in der altdeutschen Stube der «Walhalla» einen Abschiedsabend. Die Dichter sind unruhig und tun, als wären sie bewegt. Hungermann tritt als erster auf mich zu. «Du kennst meine Gedichte. Du hast selbst gesagt, daß sie eines deiner stärksten dichterischen Erlebnisse waren. Stärker als Stefan George.»
      Er sieht mich intensiv an. Ich habe das nie gesagt. Bambuss hat es gesagt; dafür hat Hungermann über Bambuss gesagt, daß er ihn für bedeutender als Rilke halte. Aber ich widerspreche nicht. Ich sehe den Dichter Casanovas und Mohammeds erwartungsvoll an.
      «Also gut», fährt Hungermann fort, wird aber abgelenkt. «Woher hast du übrigens diesen neuen Anzug?»
      «Ich habe ihn mir heute von einem Schweizer Honorar gekauf», erwidere ich mit der Bescheidenheit eines Pfauen. «Es ist mein erster neuer Anzug, seit ich Soldat Seiner Majestät wurde.

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