Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
ich. «Aber zu früh!»
Fritzi hustet. Dann sagt sie: «Ihr habt doch da bei euch ein Denkmalsgeschäf, nicht? Ihr sagtet doch so etwas!»
«Wir haben das beste Denkmalgeschäf in der Stadt», erwidere ich. «Warum?»
«Warum? Mein Gott, Ludwig, dreimal darfst du raten! Die Madame will den Aufrag natürlich einem Kunden geben. Und du hast doch auch auf dem Eisernen Pferd –»
«Ich nicht», unterbreche ich sie. «Aber es kann sein, daß mein Freund Georg –»
«Einerlei, ein Kunde soll den Aufrag haben. Komm raus! Aber bald! Es war schon einer hier, ein Reisender von der Konkurrenz – er weinte dicke Tränen und behauptete, er hätte auch auf dem Pferd –»
Tränen-Oskar! Kein Zweifel! «Ich komme sofort!» sage ich. «Die Heulboje lügt!»
Die Madame empfängt mich. «Wollen Sie sie sehen?» fragt sie.
«Ist sie hier aufgebahrt?»
«Oben, in ihrem Zimmer.»
Wir gehen die knarrenden Treppen hinauf. Die Türen stehen offen. Ich sehe, daß die Mädchen sich anziehen.
«Arbeiten sie heute auch?» frage ich.
Die Madame schüttelt den Kopf. «Heute abend nicht. Die Damen ziehen sich nur an. Gewohnheit, verstehen Sie? Ist übrigens kein großer Verlust. Seit eine Mark wieder eine Mark ist, ist das Geschäf wie abgeschnitten. Kein Aas hat mehr Geld. Komisch, was?»
Es ist nicht komisch; es ist wahr. Die Inflation ist sofort zur Deflation geworden. Da, wo es vorher von Billionen gewimmelt hat, rechnet man jetzt wieder mit Pfennigen. Es herrscht überall Geldmangel. Der entsetzliche Karneval ist vorbei. Ein spartanischer Aschermittwoch ist angebrochen.
Das Eiserne Pferd liegt zwischen grünen Topfpflanzen und Lilien aufgebahrt. Es hat plötzlich ein strenges, altes Gesicht, und ich erkenne es nur wieder an einem Goldzahn, der an einer Seite kaum sichtbar zwischen den Lippen blinkt. Der Spiegel, vor dem es sich so of zurechtgemacht hat, ist mit weißem Tüll verhängt. Das Zimmer riecht nach altem Parfüm, Tannengrün und Tod. Auf der Kommode stehen ein paar Fotografien und eine abgeflachte Kristallkugel, auf deren flacher Seite ein Bild klebt. Wenn man die Kugel schüttelt, sieht es aus, als seien die Leute auf dem Bilde in einem Schneesturm. Ich kenne das Stück gut; es gehört zu den schönsten Erinnerungen meiner Kindheit. Ich hätte es gern gestohlen, als ich noch in der Bahnstraße meine Schularbeiten machte.
«Für euch war sie ja fast wie eine Stiefmutter, was?» fragt mich die Madame.
«Sagen wir ruhig eine Art Mutter. Ohne das Eiserne Pferd wäre ich wahrscheinlich Biologe geworden. Sie liebte aber Gedichte so sehr – ich mußte immer neue mitbringen –, daß ich die Biologie links liegenließ.»
«Richtig», sagt die Madame. «Sie waren ja der mit den Molchen und Fischen!»
Wir gehen hinaus. Im Vorbeigehen sehe ich auf dem Schrank die Kosakenmütze liegen. «Wo sind denn ihre hohen Stiefel?» frage ich.
«Die hat Fritzi jetzt. Fritzi hat keine Lust zu was anderm mehr. Prügeln strengt weniger an. Und es bringt mehr ein. Außerdem müssen wir ja eine Nachfolgerin haben. Wir haben einen kleinen Kundenkreis für eine strenge Masseuse.»
«Wie ist das mit dem Pferd eigentlich passiert?»
«Im Dienst. Sie hatte immer noch zu viel Interesse an der Sache, das war der eigentliche Grund. Wir haben einen einäugigen holländischen Kaufmann, einen sehr feinen Herrn, er sieht gar nicht so aus, aber der Mann will nichts als Prügel und kommt jeden Sonnabend. Kräht, wenn er genug hat, wie der beste Hahn, sehr drollig. Verheiratet, drei süße Kinder, kann natürlich von der eigenen Frau nicht verlangen, daß sie ihn durchhaut – ein Dauerkunde also, dazu die Devisen, er zahlte in Gulden – wir haben den Mann fast angebetet, mit der hohen Valuta. Na, da ist es denn gestern passiert. Malwine hat sich zu sehr aufgeregt – und plötzlich fällt sie um, die Peitsche in der Hand.»
«Malwine?»
«Das ist ihr Vorname. Wußten Sie nicht, wie? Der Herr natürlich, so was an Schrecken! Der kommt nicht wieder», sagt die Puffmutter wehmütig. «So ein Kunde! Reiner Zucker! Von den Devisen haben wir immer das Fleisch und den Kuchen für ’n ganzen Monat kaufen können. Übrigens, wie ist das denn jetzt?» Sie wendet sich mir zu. «Das ist dann ja nun gar nicht mehr so viel wert, was?»
«Ein Gulden ungefähr soviel wie zwei Mark.»
«Ist das möglich! Und früher waren es Billionen! Na, dann ist es mit dem Kunden nicht
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