Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Traum! Wer ist das?»
«Susanna im Bade», erkläre ich. Ich will ihm damit zart klarmachen, daß wir im Augenblick die Rolle der alten Böcke spielen, die sie beobachten.
«Unsinn!» Der Voyeur mit dem Einsteinkomplex läßt kein Auge von dem goldenen Fenster. «Wie sie heißt, meine ich.»
«Keine Ahnung. Wir sehen sie zum erstenmal. Heute mittag wohnte sie noch nicht drüben.»
«Tatsächlich?» Lisa hat das Kleid übergezogen und streif es mit den Händen glatt. Georg schenkt hinter dem Rücken Riesenfelds sich und mir ein. Wir kippen die Gläser weg. «Eine Frau von Rasse», sagt Riesenfeld, der weiter am Fenster klebt. «Eine Dame, das sieht man. Wahrscheinlich Französin.»
Lisa ist, soviel wir wissen, Böhmin. «Es könnte Mademoiselle de la Tour sein», erwidere ich, um Riesenfeld noch mehr zu reizen. «Ich habe gestern irgendwo hier den Namen gehört.»
«Sehen Sie!» Riesenfeld dreht sich einen Augenblick zu uns herum. «Ich sagte ja, Französin! Man sieht das gleich – dieses je ne sais pas quoi! Finden Sie nicht auch, Herr Kroll?»
«Sie sind hier der Kenner, Herr Riesenfeld.»
Das Licht in Lisas Zimmer erlischt. Riesenfeld stürzt seinen Schnaps in die zugeschnürte Kehle und preßt sein Gesicht wieder gegen das Fenster. Nach einer Weile erscheint Lisa in der Haustüre und geht die Straße hinunter. Riesenfeld sieht ihr nach. «Bezaubernder Gang! Sie trippelt nicht; sie macht lange Schritte. Ein vollschlanker Panther! Frauen, die trippeln, sind Enttäuschungen. Aber diese – für die garantiere ich!»
Ich habe beim vollschlanken Panther rasch noch ein Glas getrunken. Georg ist lautlos grinsend in seinen Stuhl gesunken. Wir haben es geschaf! Jetzt dreht Riesenfeld sich um. Sein Gesicht schimmert wie ein bleicher Mond.
«Licht, meine Herren! Worauf warten wir noch? Rein ins Leben!»
Wir folgen ihm in die milde Nacht. Ich starre auf seinen Froschrücken. Wenn ich doch auch so einfach aus meinen grauen
Stunden aufauchen könnte wie dieser Verwandlungskünstler, denke ich mit Neid.
Die Rote Mühle ist bombenvoll. Wir bekommen nur noch einen Tisch, der sehr nahe beim Orchester steht. Die Musik ist ohnehin schon laut, aber an unserm Tisch ist sie geradezu betäubend. Wir schreien uns anfangs unsere Bemerkungen in die Ohren; danach begnügen wir uns mit Zeichen wie ein Trio Taubstummer. Die Tanzfläche ist so voll, daß die Leute sich kaum bewegen können. Aber Riesenfeld ficht das nicht an. Er erspäht an der Bar eine Frau in weißer Seide und stürzt auf sie zu. Stolz stößt er sie mit seinem Spitzbauch über die Tanzfläche. Sie ist einen Kopf größer als er und starrt gelangweilt über ihn in den Raum, der mit Ballons dekoriert ist. Unterhalb aber kocht Riesenfeld wie ein Vesuv. Sein Dämon hat ihn gepackt. «Wie wär’ es, wenn wir ihm Schnaps in seinen Wein gössen, damit er rascher voll wird?» sage ich zu Georg. «Der Knabe säuf ja wie ein gefleckter Waldesel! Dies ist unsere fünfe Flasche! In zwei Stunden sind wir bankrott, wenn das so weitergeht. Wir haben schon ein paar Hügelsteine versoffen, schätze ich. Hoffentlich bringt er das weiße Gespenst nicht an den Tisch, so daß wir es auch noch tränken müssen.»
Georg schüttelt den Kopf. «Das ist eine Bardame. Sie muß an die Bar zurück.»
Riesenfeld taucht wieder auf. Er ist rot und schwitzt.
«Was ist das alles gegen den Zauber der Phantasie!» brüllt er uns durch den Lärm zu. «Handfeste Wirklichkeit, gut! Aber wo bleibt die Poesie? Heute abend, das Fenster vor dem dunklen Himmel – das war etwas zum Träumen! Eine solche Frau – verstehen Sie, wie ich das meine?»
«Klar», schreit Georg zurück. «Das, was man nicht kriegt, scheint immer besser als das, was man hat. Darin liegt die Romantik und die Idiotie des menschlichen Lebens. Prost Riesenfeld!»
«Ich meine es nicht so roh», heult Riesenfeld gegen den Foxtrott «Ach, wenn das der Petrus wüßte» an. «Ich meine es zarter.»
«Ich auch», brüllte Georg zurück.
«Ich meine es noch zarter!»
«Gut, so zart wie Sie wollen!»
Die Musik holt zu einem kräfigen Crescendo aus. Die Tanzfläche ist eine bunte Sardinenbüchse. Ich erstarre plötzlich. In die Pratzen eines angekleideten Affen gepreßt, schiebt sich rechts in dem Tanzhaufen meine Freundin Erna heran. Sie sieht mich nicht; aber ich erkenne ihre roten Haare schon von weitem. Ohne Scham hängt sie an der Schulter eines
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