Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
typischen Schieberjünglings. Ich sitze unbeweglich da – aber ich habe das Gefühl, eine Handgranate verschluckt zu haben. Da tanzt sie, die Bestie, der zehn Gedichte meiner unveröffentlichten Sammlung «Staub und Sterne» gewidmet sind, und mir hat sie seit einer Woche vorgelogen, es sei ihr wegen einer kleinen Gehirnerschütterung verboten, auszugehen. Sie sei im Dunkeln gefallen. Gefallen, ja, aber an die Brust dieses Jünglings, der einen zweireihigen Smoking trägt und einen Siegelring an der Pfote, mit der er Ernas Kreuz stützt. Und ich Kamel habe ihr heute nachmittag noch rosa Tulpen aus unserm Garten mit einem Gedicht von drei Strophen, betitelt «Pans Maiandacht», geschickt. Wenn sie das nun dem Schieber vorgelesen hat! Ich sehe direkt, wie beide sich vor Lachen krümmen.
      «Was ist los?» brüllt Riesenfeld. «Ist Ihnen schlecht?»
      «Heiß!» heule ich zurück und fühle, wie mir der Schweiß den Rücken ’runterläuf. Ich bin wütend; wenn Erna sich umdreht, wird sie mich schwitzend mit rotem Kopf sehen – aber ich möchte jetzt um alles in der Welt überlegen, kalt und gelassen wie ein Weltmann wirken. Rasch fahre ich mir mit dem Taschentuch übers Gesicht. Riesenfeld grinst mitleidlos. Georg sieht es. «Sie schwitzen selbst ganz nett, Riesenfeld», sagt er.
      «Bei mir ist das was anderes! Es ist der Schweiß der Lebenslust!» brüllt Riesenfeld.
      «Es ist der Schweiß der dahinfliegenden Zeit», krächze ich gifig und spüre, wie mir das Wasser salzig in die Mundwinkel läuf.
      Erna ist nahe heran. Sie stiert selig zur Musik hinüber. Ich gebe meinem Gesicht einen leicht erstaunten, überlegen lächelnden Ausdruck, während mir der Schweiß jetzt den Kragen aufweicht.
      «Was haben Sie denn?» schreit Riesenfeld. «Sie sehen ja aus wie ein mondsüchtiges Känguruh!»
      Ich ignoriere ihn. Erna hat sich umgedreht. Ich blicke kühl auf die Tanzenden und mustere sie, bis ich, mit einem Aufdämmern, so tue, als erkenne ich Erna zufällig. Lässig erhebe ich zwei Finger zum Gruß. «Er ist meschugge», heult Riesenfeld durch die Synkopen des Foxtrotts «Himmelsvater».
      Ich antworte nicht. Ich bin tatsächlich sprachlos. Erna hat mich überhaupt nicht gesehen.

    Die Musik hört endlich auf. Die Tanzfläche wird langsam leer. Erna entschwindet in eine Nische. «Waren Sie eben siebzehn oder siebzig?» heult Riesenfeld.
      Da die Musik in diesem Augenblick schweigt, schallt seine Frage mächtig durch den Raum. Ein paar Dutzend Leute sehen zu uns her, und selbst Riesenfeld erschrickt. Ich möchte rasch unter den Tisch kriechen; aber dann fällt mir ein, daß die Leute, die hier sind, die Frage einfach für ein Verkaufsangebot halten können, und ich erwidere kalt und laut: «Einundsiebzig Dollar das Stück, und keinen Cent drunter.»
      Meine Antwort erweckt augenblicklich Interesse. «Um was handelt es sich?» fragt ein Mann mit einem Kindergesicht vom Nebentisch her. «Habe immer Interesse für gute Objekte. Cash natürlich. Aufstein ist mein Name.»
      «Felix Koks», erwidere ich die Vorstellung, froh, mich sammeln zu können. «Das Objekt waren zwanzig Flaschen Parfüm. Der Herr drüben hat leider schon gekauf.»
      «Schschsch –» macht eine künstliche Blondine.
      Die Darbietungen beginnen. Ein Ansager redet Blödsinn und ist wütend, weil seine Witze nicht zünden. Ich ziehe meinen Stuhl zurück und verschwinde hinter Aufstein; für Ansager bin ich ein beliebtes Ziel, und das wäre Ernas wegen heute eine Blamage.
      Alles geht gut. Der Ansager zieht mißmutig ab, und wer steht auf einmal in einem weißen Brautkleid mit Schleier da? Renée de la Tour. Erleichtert setze ich mich wieder zurecht.
      Renée beginnt ihr Duett. Züchtig und verschämt, in hohem Sopran, tiriliert sie als Jungfrau ein paar Verse – dann kommt der Baß und ist sofort eine Sensation.
      «Wie finden Sie die Dame?» frage ich Riesenfeld.
      «Dame ist gut –»
      «Möchten Sie sie kennenlernen? Mademoiselle de la Tour.»
      Riesenfeld stutzt. «La Tour? Sie wollen doch nicht behaupten, daß dieses absurde Naturspiel die Zauberin vom Fenster Ihnen gegenüber ist?»
      Ich will es gerade behaupten, um zu sehen, wie er reagiert, da sehe ich etwas wie einen engelhafen Schein um seine Elefantennase wehen. Ohne zu sprechen deutet er mit dem Daumen zum Eingang. «Da – dort drüben – da ist sie ja! Dieser Gang! Man kennt ihn sofort wieder!»
      Er hat recht. Lisa ist

Weitere Kostenlose Bücher