Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
enger an mich. Dabei beobachte ich Erna.
Gerda riecht nach Maiglöckchenparfüm. «Lassen Sie mich nur wieder los», sagt sie. «Damit erreichen Sie nichts bei der Dame mit dem roten Haar. Und das wollen Sie doch, nicht wahr?»
«Nein», lüge ich.
«Sie hätten sie gar nicht beachten sollen. Statt dessen haben Sie wie hypnotisiert zu ihr rübergestarrt und dann plötzlich dieses Teater mit mir arrangiert. Gott, sind Sie ein Anfänger!»
Ich versuche immer noch, das falsche Lächeln zu halten; ich möchte um alles nicht, daß Erna merkt, daß ich hier ebenfalls reingefallen bin. «Ich habe das nicht arrangiert», sage ich lahm. «Ich habe nicht tanzen wollen.»
Gerda schiebt mich von sich weg. «Ein Kavalier sind Sie anscheinend auch noch! Hören wir auf. Meine Füße tun mir weh.»
Ich überlege, ob ich ihr erklären soll, daß ich das anders gemeint habe; aber wer weiß, wohin mich das dann wieder bringt! Lieber halte ich den Schnabel und gehe hocherhobenen Kopfes, aber beschämt hinter ihr her zum Tisch.
Dort hat der Alkohol inzwischen gewirkt. Georg und Riesenfeld duzen sich. Riesenfeld hat den Vornamen Alex. In spätestens einer Stunde wird er auch mich auffordern, ihn zu duzen. Morgen früh ist natürlich alles wieder vergessen.
Ich sitze ziemlich trübe da und warte darauf, daß Riesenfeld müde wird. Die Tanzenden gleiten dahin, von der Musik getragen, in einem trägen Fluß von Lärm, Körpernähe und Herdengefühl. Auch Erna kommt herausfordernd vorbei und ignoriert mich. Gerda stößt mich an.
«Das Haar ist gefärbt», sagt sie, und ich habe das ekelhafe Gefühl, daß sie mich trösten will.
Ich nicke und merke, daß ich genug getrunken habe. Riesenfeld ruf endlich nach dem Kellner. Lisa ist gegangen; jetzt will auch er raus.
Es dauert eine Zeitlang, bis wir fertig sind. Riesenfeld bezahlt tatsächlich den Champagner; ich hatte erwartet, er würde uns mit den vier Flaschen, die er bestellt hat, sitzenlassen. Wir verabschieden uns von Willy, Renée de la Tour und Gerda Schneider. Es ist ohnehin Schluß; auch die Musik packt ein. Alles staut sich an den Ausgängen und der Garderobe.
Ich stehe auf einmal neben Erna. Ihr Kavalier rudert mit langen Armen an der Garderobe herum, um ihren Mantel zu holen. Erna mißt mich eisig. «Hier muß ich dich erwischen! Das hättest du wohl nicht erwartet!»
«Du mich erwischen?» sage ich verblüf. «Ich dich!»
«Und mit was für Subjekten!» fährt sie fort, als hätte ich nicht geantwortet. «Mit Tingeltangelweibern! Rühr mich nicht an! Wer weiß, was du dir schon geholt hast!»
Ich habe keinen Versuch gemacht, sie anzurühren. «Ich bin hier geschäflich», sage ich. «Und du? Wie kommst du hierher?»
«Geschäflich!» Sie lacht schneidend auf. «Geschäflich! Wer ist denn gestorben?»
«Das Rückgrat des Staates, der kleine Sparer», erwidere ich und denke, ich sei witzig gewesen. «Er wird täglich hier beerdigt, aber sein Grabdenkmal ist kein Kreuz – es ist ein Mausoleum, genannt die Börse.»
«Und so einem verbummelten Subjekt hat man vertraut!» erklärt Erna, als hätte ich wieder nichts gesagt. «Wir sind fertig miteinander, Herr Bodmer!»
Georg und Riesenfeld kämpfen an der Garderobe um ihre Hüte. Ich merke, daß ich zu Unrecht in der Verteidigung bin. «Hör zu», fauche ich. «Wer hat mir heute nachmittag noch gesagt, er könne nicht ausgehen, er habe rasende Kopfschmerzen? Und wer schwof hier herum mit einem dicken Schieber?»
Erna wird weiß um die Nase. «Du pöbelhafer Verseschmierer!» flüstert sie, als spritze sie Vitriol. «Du meinst wohl, weil du Gedichte von toten Leuten abschreiben kannst, wärest du was Besseres, wie? Lerne erst einmal genug Geld zu verdienen, damit du eine Dame standesgemäß ausführen kannst! Du mit deinen Ausflügen ins Grüne! Zu den seidenen Fahnen des Mai! Daß ich nicht schluchze vor Mitleid!»
Die seidenen Fahnen sind ein Zitat aus dem Gedicht, das ich ihr nachmittags geschickt habe. Ich taumele innerlich; äußerlich grinse ich. «Wir wollen einmal bei der Sache bleiben», sage ich. «Wer geht hier mit zwei ehrbaren Geschäfsmännern nach Hause? Und wer mit einem Kavalier?»
Erna sieht mich groß an. «Soll ich etwa allein nachts auf die Straße gehen wie eine Barhure? Wofür hältst du mich? Glaubst du, ich habe Lust, mich von jedem Flegel anquatschen zu lassen? Was denkst du eigentlich?»
«Du hättest
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