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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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besser ohne Zeugen. Ich setze mich auf die Treppenstufen. Aus der Werkstatt des Tischlers Wilke dringt ruhiges Schnarchen. Es muß immer noch Heinrich Kroll sein, denn Wilke wohnt auswärts. Der nationale Geschäfsmann wird einen netten Schreck kriegen, wenn er im Sarg aufwacht! Ich überlege, ob ich ihn wecken soll, aber ich bin zu müde, und es wird ja auch schon hell – da sollte der Schreck für einen so furchtlosen Krieger eher ein Stahlbad sein, das ihn kräfigt und ihm vorführt, was das Endergebnis eines frischfröhlichen Krieges ist. Ich sehe auf die Uhr und warte auf Georgs Signal und starre in den Garten. Lautlos hebt sich der Morgen aus den blühenden Bäumen wie aus einem bleichen Bett. Im erleuchteten Fenster des ersten Stocks gegenüber steht der Feldwebel Knopf im Nachthemd und nimmt einen letzten Schluck aus der Flasche. Die Katze streicht um meine Beine. Gott sei Dank, denke ich, der Sonntag ist zu Ende.

    V

    Eine Frau in Trauerkleidung drückt sich durch das Tor und bleibt unschlüssig im Hofe stehen. Ich gehe hinaus. Eine Hügelsteinkundin, denke ich, und frage: «Möchten Sie unsere Ausstellung sehen?»
      Sie nickt, sagt aber gleich darauf: «Nein, nein, das ist noch nicht nötig.»
      «Sie können sich ruhig umsehen. Sie brauchen nichts zu kaufen. Wenn Sie wollen, lasse ich Sie auch allein.»
      «Nein, nein! Es ist – ich wollte nur –»
      Ich warte. Drängen hat in unserem Geschäf keinen Zweck. Nach einiger Zeit sagt die Frau: «Es ist für meinen Mann –»
      Ich nicke und warte weiter. Dabei drehe ich mich gegen die Reihe der kleinen belgischen Hügelsteine. «Das hier sind sehr schöne Denkmäler», sage ich schließlich.
    «Ja, sicher, es ist nur –»
      Sie stockt wieder und blickt mich fast flehentlich an. «Ich weiß nicht, ob es überhaupt erlaubt ist –» preßt sie schließlich hervor.
      «Was? Einen Grabstein zu setzen? Wer kann das verbieten?»
      «Das Grab ist nicht auf dem Kirchhof –»
      Ich sehe sie überrascht an. «Der Pastor will nicht, daß mein Mann auf dem Kirchhof beerdigt wird», sagt sie rasch und leise, mit abgewandtem Gesicht.
      «Warum denn nicht?» frage ich erstaunt.
      «Er hat – weil er Hand an sich gelegt hat», stößt sie hervor. «Er hat sich das Leben genommen. Er hat es nicht mehr ausgehalten.»
      Sie steht und starrt mich an. Sie ist noch erschrocken von dem, was sie gesagt hat. «Sie meinen, daß er deshalb nicht auf dem Kirchhof beerdigt werden darf?» frage ich.
      «Ja. Nicht auf dem katholischen. Nicht in geweihter Erde.»
      «Aber das ist doch Unsinn!» sage ich ärgerlich. «Er sollte in doppelt geweihter Erde begraben werden. Niemand nimmt sich ohne Not das Leben. Sind Sie ganz sicher, daß das stimmt?»
      «Ja. Der Pastor hat es gesagt.»
      «Pastoren reden viel, das ist ihr Geschäf. Wo sollte er denn sonst beerdigt werden?»
      «Außerhalb des Friedhofs. Auf der anderen Seite der Mauer. Nicht auf der geweihten Seite. Oder im städtischen Friedhof. Aber das geht doch nicht! Da liegt doch alles durcheinander.»
      «Der städtische Friedhof ist viel schöner als der katholische», sage ich. «Und auf dem städtischen liegen auch Katholiken.»
      Sie schüttelt den Kopf. «Das geht nicht. Er war fromm. Er muß –» Ihre Augen sind plötzlich voll Tränen. «Er hat es sicher nicht überlegt, daß er nicht in geweihter Erde liegen darf.»
      «Er hat wahrscheinlich überhaupt nicht daran gedacht. Aber grämen Sie sich nicht wegen Ihres Pastors. Ich kenne Tausende von sehr frommen Katholiken, die nicht in geweihter Erde liegen.»
      Sie wendet sich mir rasch zu. «Wo?»
      «Auf den Schlachtfeldern in Rußland und Frankreich. Sie liegen da beieinander in Massengräbern, Katholiken, Juden und Protestanten, und ich glaube nicht, daß das Gott etwas ausmacht.»
      «Das ist etwas anderes. Sie sind gefallen. Aber mein Mann –»
      Sie weint jetzt offen. Tränen sind in unserm Geschäf etwas Selbstverständliches; aber diese sind anders als gewöhnlich. Dazu ist die Frau wie ein Bündelchen Stroh; man glaubt, der Wind könne sie wegwehen. «Wahrscheinlich hat er es im letzten Augenblick noch bereut», sage ich, um etwas zu sagen. «Damit ist dann alles vergeben.»
      Sie sieht mich an. Sie ist so hungrig für ein bißchen Trost!
      «Meinen Sie das wirklich?»
      «Bestimmt. Der Priester weiß das natürlich nicht. Das weiß nur Ihr Mann. Und der kann es nicht mehr

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