Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
verloren.
«Von wem ist der Brief?» frage ich.
«Alexander Riesenfeld», krächzt Lisa. «Per Adresse Kroll & Söhne. Riesenfeld!» Sie schluchzt fast. «Ist das der Kleine, Miese, mit dem ihr in der Roten Mühle wart?»
«Er ist nicht klein und mies», erwidere ich. «Er ist ein Sitzriese und sehr männlich. Außerdem ist er Billiardär!» Lisas Gesicht wird einen Augenblick nachdenklich. Dann winkt und grüßt sie noch einmal und verschwindet. Ich schließe das Fenster. Ohne Grund fällt mir plötzlich Erna ein. Ich beginne unbehaglich zu pfeifen und schlendere durch den Garten zum Schuppen hinüber, in dem der Bildhauer Kurt Bach arbeitet.
Er sitzt mit seiner Gitarre vor der Tür auf den Stufen. Hinter ihm schimmert der Sandsteinlöwe, den er für ein Kriegerdenkmal zurechthaut. Es ist die übliche sterbende Katze mit Zahnschmerzen.
«Kurt», sage ich. «Wenn du auf der Stelle einen Wunsch erfüllt bekommen könntest, was würdest du dir wünschen?»
«Tausend Dollar», erwidert er, ohne nachzudenken, und greif einen schmetternden Akkord auf seiner Gitarre.
«Pfui Teufel! Ich dachte, du wärest ein Idealist.»
«Ich bin ein Idealist. Deshalb wünsche ich mir ja tausend Dollar. Idealismus brauche ich mir nicht zu wünschen. Davon habe ich massenhaf selbst. Was mir fehlt, ist Geld.»
Dagegen ist nichts zu sagen. Es ist fehlerlose Logik. «Was würdest du mit dem Gelde machen?» frage ich, mit noch etwas Hoffnung.
«Ich würde mir einen Häuserblock kaufen und von den Mieten leben.»
«Schäm dich!» sage ich. «Das ist alles? Von den Mieten kannst du übrigens nicht leben, sie sind zu niedrig, und du darfst sie nicht steigern. Du könntest also nicht einmal die Reparaturen davon bezahlen und müßtest die Häuser bald wieder verkaufen.»
«Nicht die Häuser, die ich kaufen würde! Ich würde sie behalten, bis die Inflation vorbei ist. Dann bringen sie wieder richtige Mieten, und ich brauche nur zu kassieren.»
Bach greif einen neuen Akkord. «Häuser», sagt er versonnen, als spräche er von Michelangelo. «Für hundert Dollar kannst du heute schon eines kaufen, das früher vierzigtausend Goldmark wert war. Was man da verdienen könnte! Warum habe ich keinen kinderlosen Onkel in Amerika?»
«Das ist jammervoll!» sage ich enttäuscht. «Du bist anscheinend über Nacht zu einem ekelhafen Materialisten herabgesunken. Hausbesitzer! Und wo bleibt deine unsterbliche Seele?»
«Hausbesitzer und Bildhauer.» Bach gibt eine Glissando-Passage zum besten. Über ihm hämmert der Tischler Wilke den Takt dazu. Er macht einen eiligen weißen Kindersarg zum Überstundentarif. «Dann brauche ich keine verdammten sterbenden Löwen und auffliegenden Adler mehr für euch zu machen! Keine Tiere! Nie wieder Tiere! Tiere soll man essen oder bewundern. Sonst nichts. Ich habe genug von Tieren. Besonders von heroischen.» Er beginnt den Jäger aus Kurpfalz zu spielen. Ich sehe, daß mit ihm heute abend kein anständiges Gespräch zu führen ist. Besonders nicht eines, bei dem man untreue Frauen vergißt. «Was ist der Sinn des Lebens?» frage ich noch im Gehen.
«Schlaf, Fraß und Beischlaf.»
Ich winke ab und wandere zurück. Unwillkürlich falle ich in Schritt mit dem Hämmern Wilkes; dann merke ich es und wechsle den Rhythmus.
Unter dem Torbogen steht Lisa. Sie hat die Rosen in der Hand. «Hier! Behalte das! Ich kann so was nicht brauchen.»
«Warum nicht? Hast du keinen Sinn für die Schönheit der Natur?»
«Gott sei Dank nicht. Ich bin keine Kuh. Riesenfeld!» Sie lacht mit ihrer Nachtklubstimme. «Sag dem Knaben, daß ich nicht jemand bin, dem man Blumen schenkt.»
«Was denn?»
«Schmuck», erwidert Lisa. «Was sonst?»
«Keine Kleider?»
«Kleider erst, wenn man intimer ist.» Sie blitzt mich an. «Du siehst jämmerlich aus. Soll ich dich mal munter machen?»
«Danke», erwidere ich. «Ich bin munter genug. Geh du nur allein zur Cocktailstunde in die Rote Mühle.»
«Ich meine nicht die Rote Mühle. Spielst du immer noch Orgel für die Idioten?»
«Ja», sage ich überrascht. «Woher weißt du das?»
«Es spricht sich herum. Ich möchte mal mitgehen in die Klapsbude, weißt du.»
«Du kommst noch früh genug hin, ohne mich.»
«Na, wir werden mal sehen, wer von uns der erste ist», erklärt Lisa lässig und legt die Blumen auf einen Hügelstein. «Hier, nimm das Gemüse! Ich kann es
Weitere Kostenlose Bücher