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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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«Morgens anders als abends, im Winter anders als im Sommer, vor dem Essen anders als nachher, und in der Jugend
    wahrscheinlich anders als im Alter.»
    «Richtig. Endlich eine vernünfige Antwort!»
      «Na schön, wenn Sie es wissen, weshalb fragen Sie denn noch?»
      «Fragen bildet. Außerdem frage ich morgens anders als abends, im Winter anders als im Sommer, und vor dem Beischlaf anders als nachher.»
      «Nach dem Beischlaf», sagt Wilke. «Richtig, da ist immer alles anders! Das hatte ich ganz vergessen.»
      Ich verbeuge mich vor ihm wie vor einem Abt. «Gratuliere zur Askese! Sie haben den Stachel des Fleisches also schon überwunden! Wer auch soweit wäre!»
      «Unsinn! Ich bin nicht impotent. Aber die Weiber sind komisch, wenn man Sargtischler ist. Grauen sich. Wollen nicht in die Werkstatt rein, wenn ein Sarg drinsteht. Nicht einmal, wenn man Berliner Pfannkuchen und Portwein aufischt.»
      «Wo aufischt?» frage ich. «Auf dem unfertigen Sarg? Auf dem polierten doch sicher nicht; Portwein macht Ringe.»
      «Auf der Fensterbank. Auf dem Sarg kann man sitzen. Dabei ist es doch noch gar kein Sarg. Ein Sarg wird es erst, wenn ein Toter drin liegt. Bis dahin ist es nur ein Stück Tischlerarbeit.»
      «Stimmt. Aber es ist schwer, das immer auseinanderzuhalten!»
      «Es kommt darauf an. Einmal, in Hamburg, hatte ich eine Dame, der war es egal. Es machte ihr sogar Spaß. Sie war scharf drauf. Ich füllte den Sarg halbvoll mit weichen weißen Hobelspänen aus Tanne, die riechen immer so romantisch nach Wald. Alles ging gut. Wir hatten mächtigen Spaß, bis sie wieder herauswollte. Da war irgendwo noch etwas von dem verdammten Leim an einer Stelle auf dem Boden nicht ganz trocken gewesen, die Hobelspäne hatten sich verschoben, und die Haare der Dame waren in den Leim geraten und festgeklebt. Sie ruckte ein paarmal, und dann ging das Schreien los. Sie glaubte, es wären Tote, die sie bei den Haaren festhielten. Sie schrie und schrie, und Leute kamen, mein Meister auch, sie wurde freigemacht, und ich flog aus meiner Stellung heraus. Schade – es hätte eine schöne Beziehung werden können; das Leben ist nicht leicht für unsereins.»
      Wilke wirf mir einen wilden Blick zu, grinst kurz und scharrt genußvoll in seinem Kistchen, ohne es mir anzubieten. «Ich kenne zwei Fälle von Sprottenvergifung», sage ich. «Das ist ein grauenhafer, langwieriger Tod.»
      Wilke winkt ab. «Diese hier sind frisch geräuchert. Und sehr zart. Eine Delikatesse. Ich teile sie mit Ihnen, wenn Sie mir ein nettes, unvoreingenommenes Mädchen verschaffen – so wie die mit dem Sweater, die Sie jetzt öfer abholen kommt.»
      Ich starre den Sargtischler an. Er meint zweifellos Gerda. Gerda, auf die ich gerade warte. «Ich bin kein Mädchenhändler», sage ich scharf. «Aber ich will Ihnen einen Rat geben. Führen Sie Ihre Damen anderswohin und nicht gerade in Ihre Werkstatt.»
      «Wohin denn?» Wilke stochert nach Gräten in seinen Zähnen. «Da liegt ja der Haken! In ein Hotel? Zu teuer. Dazu die Angst vor Polizei-Razzien. In die städtischen Anlagen? Wieder die Polizei! Hier in den Hof? Da ist meine Werkstatt doch noch besser.»
      «Haben Sie keine Wohnung?»
      «Mein Zimmer ist nicht sturmfrei. Meine Vermieterin ist ein Drache. Vor Jahren habe ich mal was mit ihr gehabt. In äußerster Not, verstehen Sie? Nur kurz – aber der Satan ist heute, zehn Jahre später, noch eifersüchtig. Mir bleibt nur die Werkstatt. Also, wie ist es mit einem Freundschafsdienst? Stellen Sie mich der Dame im Sweater vor!»
      Ich zeige stumm auf das leergefressene Sprottenkistchen. Wilke wirf es in den Hof und geht zum Wasserhahn, um sich die Pfo ten zu waschen. «Ich habe oben noch eine Flasche erstklassigen Portwein-Verschnitt.»
      «Behalten Sie das Gesöff für Ihre nächste Bajadere.»
      «Bis dahin wird Tinte daraus. Aber es gibt noch mehr Sprotten in der Welt als dieses eine Kistchen.»
      Ich zeige auf meine Stirn und gehe ins Büro, um mir einen Zeichenblock und einen Klappsessel zu holen und für Frau Niebuhr ein Mausoleum zu entwerfen. Ich setze mich neben den Obelisken – so kann ich gleichzeitig das Telefon hören und die Straße und den Hof überblicken. Die Zeichnung des Denkmals werde ich mit der Inschrif schmücken: Hier ruht nach langem, schwerem Leiden der Major a. D. Wolkenstein, gestorben im Mai 923.
      Eines der Knopfmädchen kommt und bestaunt meine Arbeit. Es ist einer der

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