Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Georg.
«Gratuliere!»
«Was ist da zu gratulieren?»
«Grippe bringt Geschäf. Ich merke as draußen. Bedeutend mehr Tote.»
«Herr Liebermann», sage ich zu dem rüstigen Achtzigjährigen. «Wir sprechen nicht vom Geschäf. Herr Kroll hat einen schweren kosmischen Grippeanfall, den wir soeben heroisch bekämpfen. Wollen Sie auch ein Glas Medizin?»
«Ich bin Schnapstrinker. Wein macht mich nur nüchtern.»
«Wir haben auch Schnaps.»
Ich schenke ihm ein Wasserglas voll ein. Er trinkt einen guten Schluck, nimmt dann seinen Rucksack ab und holt vier Forellen hervor, die in große grüne Blätter eingeschlagen sind. Sie riechen nach Fluß und Regen und Fisch.
«Ein Geschenk», sagt Liebermann.
Die Forellen liegen mit gebrochenen Augen auf dem Tisch. Ihre grüne und graue Haut ist voll roter Flecken. Wir starren sie an. Sanf ist der Tod plötzlich wieder in den Raum eingebrochen, in dem soeben noch die Unsterblichkeit schwang – sanf und schweigend, mit dem Vorwurf der Kreatur gegen den Mörder und Allesesser Mensch, der von Frieden und Liebe redet und Lämmern die Kehle zerschneidet und Fische ersticken läßt, um Kraf genug zu haben, weiter über Frieden und Liebe zu reden – Bodendiek, den Mann Gottes und safigen Fleischesser, nicht ausgenommen.
«Ein schönes Abendessen», sagt Liebermann. «Besonders für Sie, Herr Kroll. Leichte Krankenkost.»
Ich trage die toten Fische in die Küche und übergebe sie Frau Kroll, die sie fachkundig betrachtet. «Mit frischer Butter, gekochten Kartoffeln und Salat», erklärt sie.
Ich sehe mich um. Die Küche glänzt, Licht strahlt aus den Kochtöpfen zurück, eine Pfanne zischt, und es riecht gut. Küchen sind immer ein Trost. Der Vorwurf schwindet aus den Augen der Forellen. Aus toten Kreaturen wird plötzlich Nahrung, die man verschiedenartig zubereiten kann. Fast scheint es, als wären sie nur deswegen geboren worden. Was für Verräter wir doch sind, denke ich, an unseren edleren Gefühlen!
Liebermann hat einige Adressen gebracht. Die Grippe wirkt sich tatsächlich bereits aus. Leute sterben, weil sie nicht viel Widerstandskraf haben. Der Hunger während des Krieges hat sie ohnehin schon geschwächt. Ich beschließe plötzlich, mir einen anderen Beruf zu suchen. Ich bin des Todes müde. Geoerg hat sich seinen Bademantel geholt. Er sitzt wie ein schwitzender Buddha da. Der Bademantel ist gifgrün. Georg liebt zu Hause scharfe Farben. Ich weiß jetzt auf einmal, woran mich unser Gespräch vorhin erinnert hat. An etwas, was Isabelle vor einiger Zeit gesagt hat. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran – aber es hatte mit dem Betrug der Dinge zu tun. Doch war es bei uns wirklich ein Betrug? Oder waren wir Gott einen Augenblick um einen Zentimeter näher?
Die Dichterklause im Hotel «Walhalla» ist ein kleiner getäfelter
Raum. Eine Büste Goethes steht auf einem Regal mit Büchern, und Photographien und Stiche von deutschen Klassikern, Romantikern und ein paar modernen Schrifstellern hängen herum. Die Klause ist der Versammlungsort für den Dichterklub und die geistige Elite der Stadt. Jede Woche ist eine Sitzung. Selbst der Redakteur des Tageblattes erscheint ab und zu und wird offen umschmeichelt und geheim gehaßt, je nachdem, ob er Beiträge angenommen oder abgelehnt hat. Er macht sich nichts daraus. Wie ein milder Onkel schwebt er durch den Tabakrauch, verlästert, angegriffen und verehrt – nur in einem sind sich alle über ihn einig: daß er nichts von moderner Literatur versteht. Hinter Teodor Storm, Eduard Mörike und Gottfried Keller beginnt für ihn die große Wüste.
Außer ihm kommen noch ein paar Landgerichtsräte und pensionierte Beamte, die an Literatur interessiert sind; Arthur Bauer und einige seiner Kollegen; die Poeten der Stadt, ein paar Maler und Musiker, und ab und zu als Gast ein Außenseiter. Arthur Bauer wird gerade von dem Speichellecker Matthias Grund umkrochen, der hof, Arthur werde sein «Buch vom Tode in sieben Abteilungen» verlegen. Eduard Knobloch, der Gründer des Klubs, erscheint. Er wirf einen raschen Blick durch den Raum und heitert sich auf. Einige seiner Kritiker und Feinde sind nicht da. Er setzt sich zu meinem Erstaunen neben mich. Ich habe das nach dem Abend mit dem Huhn nicht erwartet. «Wie geht’s?» fragt er zudem ganz menschlich, nicht in seinem Speisesaalton.
«Brillant», sage ich, weil ich weiß, daß ihn das ärgert.
«Ich habe eine neue
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