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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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«Habt ihr den Mist gelesen, den Otto Bambuss gestern im Tecklenburger Kreisblatt zum besten gegeben hat? Buttermilch und Spucke! Daß Bauer diesen Schleimscheißer druckt!»
      Otto Bambus ist der erfolgreichste Poet der Stadt. Wir sind alle auf ihn neidisch. Er verfaßt stimmungsvolle Verse über stimmungsvolle Winkel, umliegende Dörfer, Straßenecken am Abend und seine wehmütige Seele. Er hat zwei dünne broschierte Gedichtbände bei Arthur Bauer herausgebracht – einen sogar in zweiter Auflage. Hungermann, der markige Runendichter, haßt ihn, versucht aber, seine Beziehungen auszunützen. Matthias Grund verachtet ihn. Ich dagegen bin Ottos Vertrauter. Er möchte gern einmal in ein Bordell gehen, wagt es aber nicht. Er erwartet davon einen mächtigen bluthafen Aufschwung seiner etwas bleichsüchtigen Lyrik. Als er mich sieht, kommt er gleich auf mich los. «Ich habe gehört, du kennst eine Dame vom Zirkus! Zirkus, das wäre was! Da könnte man farbig sein! Kennst du wirklich eine?»
      «Nein, Otto. Eduard hat renommiert. Ich kenne nur eine, die vor drei Jahren Billetts im Zirkus verkauf hat.»
      «Billetts – immerhin, sie war dabei! Sie muß noch etwas davon haben. Den Raubtiergeruch, die Manege. Könntest du mich nicht einmal mit ihr bekannt machen?»
      Gerda hat wahrhafig Chancen in der Literatur! Ich sehe Bambuss an. Er ist hochgeschossen, blaß, hat kein Kinn, kein Gesicht und trägt einen Kneifer. «Sie war im Flohzirkus», sage ich.
      «Schade!» Er tritt enttäuscht zurück. «Ich muß etwas tun», murmelt er dann. «Ich weiß, daß es das ist, was mir fehlt – das Blut.»
      «Otto», erwidere ich. «Kann es nicht jemand sein, der nicht vom Zirkus ist? Irgendein netter Betthase?»
      Er schüttelt seinen schmalen Kopf. «Das ist nicht so einfach, Ludwig. Über Liebe weiß ich alles. Seelische Liebe, meine ich. Da brauche ich nichts mehr, das habe ich. Was ich brauche, ist Leidenschaf, brutale, wilde Leidenschaf. Purpurnes, rasendes Vergessen. Delirium!»
      Er knirscht beinahe mit seinen kleinen Zähnen. Er ist Lehrer in einem winzigen Dorf in der Nähe der Stadt, und da findet er das natürlich nicht. Jeder will dort heiraten oder meint, Otto solle heiraten, ein braves Mädchen, das gut kocht, mit einer schönen Aussteuer. Das will Otto aber nicht. Er findet, als Dichter müsse er sich ausleben. «Das Schwierige ist, daß ich die beiden nicht zusammenkriegen kann», erklärt er düster. «Die himmlische und die irdische Liebe. Liebe ist für mich sofort sanf, voll Hingabe, Opfer und Güte. Der Geschlechtstrieb wird dabei auch sanf und häuslich. Jeden Sonnabendabend, du verstehst, damit man sonntags ausschlafen kann. Ich brauche aber etwas, das nur Geschlechtstrieb ist, ohne alles andere, etwas, in das man sich verbeißen kann. Schade, ich hörte, du hättest eine Trapezkünstlerin.»
      Ich betrachte Bambuss mit neuem Interesse. Himmlische und irdische Liebe – er also auch! Die Krankheit scheint verbreiteter zu sein, als ich dachte. Otto trinkt ein Glas Waldmeisterlimonade und sieht mich mit seinen blassen Augen an. Wahrscheinlich hat er erwartet, daß ich auf Gerda sofort verzichten würde, um seiner Kunst Geschlechtsteile wachsen zu lassen. «Wann gehen wir einmal ins Freudenhaus?» fragt er wehmütig. «Du hast mir das doch versprochen.»
      «Bald. Aber es ist kein purpurner Pfuhl der Sünde, Otto.»
      «Ich habe nur noch zwei Wochen Ferien. Dann muß ich wieder auf mein Dorf zurück, und alles ist aus.»
      «Wir machen es vorher. Hungermann möchte auch hin. Er braucht es für sein neues Drama ,Casanova‘. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Ausflug?»
      «Um Gottes willen! Ich darf nicht gesehen werden! Bei meinem Beruf!»
      «Gerade deshalb! Ein Ausflug ist harmlos. Der Puff hat eine Art Kneipe in den unteren Räumen. Da verkehrt, wer will.»
      «Natürlich gehen wir», sagt Hungermann hinter mir. «Alle zusammen. Wir machen eine Studienexpedition. Rein wissenschaflich. Eduard will auch mit.»
      Ich drehe mich nach Eduard um, um den überlegenen Sonettkoch mit sarkastischer Soße zu übergießen – aber das ist schon nicht mehr notwendig. Eduard sieht plötzlich aus, als hätte er eine Schlange vor sich. Ein schlanker Mensch hat ihm soeben auf die Schulter geklopf. «Eduard, alter Kamerad!» sagt er jetzt freundschaflich. «Wie geht es dir? Freust dich, daß du noch
    lebst, was?»
      Eduard starrt den schlanken Mann an. «Heutzutage?» würgt er

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