Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
wie die Trommeln beim Todessprung im Zirkus Busch. Frau Beckmann straf sich und entspannt sich. Sie straf sich noch zweimal. Karl Brill wird nervös. Frau Beckmann erstarrt wieder, die Augen zur Decke gerichtet, die Zähne zusammengebissen. Dann klappert es, und sie tritt von der Wand weg. Der Nagel liegt auf dem Boden.
Ich spiele «Das Gebet einer Jungfrau», eine ihrer Lieblingsnummern. Sie dankt mit einem graziösen Neigen ihres starken Hauptes, wünscht eine wohlklingende «Gute Nacht allerseits», raf den Kimono enger um sich herum und entschwindet.
Karl Brill kassiert. Er reicht mir mein Geld herüber. Der Dicke inspiziert den Nagel und die Wand. «Fabelhaf», sagt er.
Ich spiele das «Alpenglühen» und das «Weserlied», zwei weitere Favoriten Frau Beckmanns. Sie kann sie im oberen Stock hören. Karl blinzelt mir stolz zu; er ist ja schließlich der Besitzer dieser imposanten Kneifzange. Steinhäger, Bier und Korn fließen. Ich trinke ein paar mit und spiele weiter. Es paßt mir, jetzt nicht allein zu sein. Ich möchte nachdenken, und trotzdem auf keinen Fall nachdenken. Meine Hände sind voll einer unbekannten Zärtlichkeit, etwas weht und scheint sich an mich zu drängen, die Werkstatt verschwindet, der Regen ist wieder da, der Nebel und Isabelle und das Dunkel. Sie ist nicht krank, denke ich, und weiß doch, daß sie es ist – aber wenn sie krank ist, dann sind wir alle noch kränker –
Ein lauter Streit weckt mich. Der Dicke hat Frau Beckmanns Formen nicht vergessen können. Angefeuert durch eine Anzahl Schnäpse hat er Karl Brill ein dreifaches Angebot gemacht: fünf Millionen für einen Nachmittag mit Frau Beckmann zum Tee – eine Million für ein kurzes Gespräch jetzt, bei dem er sie wahrscheinlich zu einem ehrenhafen Abendessen ohne Karl Brill einladen möchte – und zwei Millionen für ein paar gute Griffe an das Prachtstück der Beckmannschen Anatomie, hier in der Werkstatt, unter Brüdern in fröhlicher Gesellschaf, also durchaus ehrenhaf.
Jetzt aber zeigt sich der Charakter Karls. Wenn der Dicke nur sportlich interessiert wäre, könnte er die Griffe vielleicht haben, schon gegen eine Wette von solch einer Lumperei wie hunderttausend Mark – aber in bockhafer Lust wird sogar der Gedanke an einen solchen Griff von Karl als schwere Beleidigung empfunden. «So eine Schweinerei!» brüllt er. «Ich dachte, ich hätte nur Kavaliere hier!»
«Ich bin Kavalier», lallt der Dicke. «Deshalb ja mein Angebot.»
«Sie sind ein Schwein.»
«Das auch. Sonst wäre ich ja kein Kavalier. Sie sollten stolz sein, bei einer solchen Dame – haben Sie denn kein Herz in der Brust? Was kann ich machen, wenn meine Natur sich in mir aufäumt? Wozu sind Sie beleidigt? Sie sind doch nicht mit ihr verheiratet!»
Ich sehe, wie Karl Brill zuckt, als hätte man ihn angeschossen. Er lebt in wilder Ehe mit Frau Beckmann, die eigentlich seine Haushälterin ist. Warum er sie nicht heiratet, weiß niemand — höchstens aus derselben Hartnäckigkeit seines Charakters heraus, mit der er auch im Winter ein Loch ins Eis haut, um schwimmen zu können. Trotzdem ist dies seine schwache Stelle.
«Ich», stottert der Dicke, «würde ein solches Juwel auf Händen tragen und sie in Samt und Seide hüllen – Seide, rote Seide –», er schluchzt fast und malt üppige Formen in die Luf. Die Flasche neben ihm ist leer. Es ist ein tragischer Fall von Liebe auf den ersten Blick. Ich spiele weiter. Die Vorstellung, daß der Dicke Frau Beckmann auf Händen tragen könnte, ist zuviel für mich.
«Raus!» erklärt Karl Brill. «Es ist genug. Ich hasse es, Gäste rauszuschmeißen, aber –»
Ein furchtbarer Schrei ertönt aus dem Hintergrund. Wir springen auf. Ein kleiner Mann tanzt dort herum. Karl stürzt auf ihn zu, greif nach einer Schere und stellt eine Maschine ab. Der kleine Mann wird ohnmächtig.
«Verdammt! Wer kann auch wissen, daß er im Suff an der Schnellbesohlmaschine herumspielt!» flucht Karl.
Wir besichtigen die Hand. Ein paar Fäden hängen heraus. Es hat ihn zwischen Zeigefinger und Daumen im weichen Fleisch erwischt – ein Glück. Karl gießt Schnaps auf die Wunde, und der kleine Mann kommt zu sich.
«Amputiert?» fragt er voll Grauen, als er seine Hand in Karls Pfoten sieht.
«Unsinn, der Arm ist noch dran.»
Der Mann seufzt erleichtert, als Karl ihm den Arm vor seinen
Augen schüttelt. «Blutvergifung, was?» fragt er.
«Nein. Aber
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