Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
die Maschine wird rostig von deinem Blut. Wir werden deine Flosse mit Alkohol waschen, Jod draufschmieren und sie verbinden.»
«Jod? Tut das nicht weh?»
«Es beißt eine Sekunde. So, als ob deine Hand einen sehr scharfen Schnaps trinkt.»
Der kleine Mann reißt seine Hand weg. «Den Schnaps trinke ich lieber selbst.»
Er holt ein nicht zu sauberes Taschentuch hervor, wickelt es um die Pfote und greif nach der Flasche. Karl grinst. Dann sieht er umher und wird unruhig. «Wo ist der Dicke?»
Keiner weiß es. «Vielleicht hat er sich dünne gemacht», sagt jemand und bekommt einen Schluckauf vor Lachen über seinen Witz.
Die Tür öffnet sich. Der Dicke erscheint; waagerecht vornübergebeugt stolpert er herein, hinter ihm, im lachsfarbenen Kimono, Frau Beckmann. Sie hat ihm die Arme nach hinten hochgedreht und stößt ihn in die Werkstatt. Mit einem kräfigen Schubs läßt sie los. Der Dicke fällt vornüber in die Abteilung für Damenschuhe. Frau Beckmann macht eine Bewegung, als stäube sie sich die Hände ab, und geht hinaus. Karl Brill tut einen riesigen Satz. Er zerrt den Dicken hoch. «Meine Arme!» wimmert der verschmähte Liebhaber. «Sie hat sie mir ausgedreht! Und mein Bauch! Oh, mein Bauch! Was für ein Schlag!»
Er braucht uns nichts zu erklären. Frau Beckmann ist ein ebenbürtiger Gegner für Karl Brill, den Winterschwimmer und erstklassigen Turner, und hat ihm bereits zweimal einen Arm gebrochen, ganz zu schweigen von dem, was sie mit einer Vase oder einem Schüreisen anrichten kann. Es ist noch kein halbes Jahr her, daß zwei Einbrecher von ihr nachts in der Werkstatt überrascht wurden. Beide lagen hinterher wochenlang im Krankenhaus, und einer hat sich nie von einem Hieb mit einem eisernen Fußmodell über den Schädel erholt, bei dem er gleichzeitig ein Ohr verlor. Er redet wirr seitdem.
Karl schleppt den Dicken ans Licht. Er ist weiß vor Wut, aber er kann nichts mehr tun – der Dicke ist fertig. Es ist, als wolle er einen schwer Typhuskranken verprügeln. Der Dicke muß einen fürchterlichen Schlag in die Organe erhalten haben, mit denen er sündigen wollte. Er ist unfähig zu gehen. Karl kann ihn nicht einmal rauswerfen. Wir legen ihn in den Hintergrund auf das Abfalleder.
«Das Schöne bei Karl ist, daß es immer so gemütlich ist», sagt jemand, der versucht, das Klavier mit Bier zu tränken.
Ich gehe durch die Große Straße nach Hause. Mein Kopf schwimmt; ich habe zuviel getrunken, aber das wollte ich auch. Der Nebel treibt über die vereinzelten Lichter, die noch in den Schaufenstern brennen, und webt goldene Schleier um die Laternen. Im Fenster eines Schlächterladens blüht ein Alpenrosenstock neben einem geschlachteten Ferkel, dem eine Zitrone in die blasse Schnauze geklemmt worden ist. Würste liegen traulich im Kreise herum. Es ist ein Stimmungsbild, das Schönheit und Zweck harmonisch vereint. Ich stehe eine Zeitlang davor und wandere dann weiter.
Auf dem dunklen Hof pralle ich im Nebel gegen einen Schatten. Es ist der alte Knopf, der wieder einmal vor dem schwarzen Obelisken steht. Ich bin mit voller Wucht gegen ihn gerannt, und er taumelt und schlingt beide Arme um den Obelisken, als wolle er ihn erklettern. «Es tut mir leid, daß ich Sie gestoßen habe», sage ich. «Aber weshalb stehen Sie auch hier? Können Sie Ihre Geschäfe denn wirklich nicht in Ihrer Wohnung erledigen? Oder, wenn Sie schon ein Freilufakrobat sind, warum nicht an einer Straßenecke?»
Knopf läßt den Obelisken los. «Verdammt, jetzt ist es in die Hose gegangen», murmelt er.
«Das schadet Ihnen nichts. Nun erledigen Sie den Rest meinetwegen schon hier.»
«Zu spät.»
Knopf stolpert zu seiner Tür hinüber. Ich gehe die Treppen hinauf und beschließe, Isabelle von dem Geld, das ich bei Karl Brill gewonnen habe, morgen einen Strauß Blumen zu schicken. Zwar bringt mir so etwas gewöhnlich nur Unglück, aber ich weiß nun einmal nichts anderes. Eine Zeitlang stehe ich noch am Fenster und sehe hinaus in die Nacht und beginne dann etwas beschämt und sehr leise, Worte und Sätze zu flüstern, die ich gerne einmal jemandem sagen möchte, aber für die ich niemanden habe, außer vielleicht Isabelle – doch die weiß ja nicht einmal, wer ich überhaupt bin. Doch wer weiß das schon von irgend jemand?
XIII
Der Reisende Oskar Fuchs, genannt Tränen-Oskar, sitzt im Büro. «Was gibt es, Herr Fuchs?» frage ich. «Wie steht es mit der Grippe
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