Der Schwarze Papst
warten wollen, dann gibt es keine andere Lösung.«
Es gab sie. Sie war alt, uralt, entstanden in den ersten Tagen der Welt. Mit dem Blut floss sie in jedermanns Körper. Sie war das Gewöhnlichste überhaupt.
Franco, der wohl gelauscht hatte, kam genau im richtigen Moment. Tilman staunte, mit welcher Selbstverständlichkeit der Bruder sich neben die nackte Schwester setzte und mit welcher Gelassenheit die nackte Schwester dies zuließ.
»Tilman, mein Freund«, sagte Franco, »wir müssen mal ernsthaft miteinander reden.«
Das Erste, was Sandro fühlte, war ein an- und abschwellender Schmerz im Hinterkopf, pochend und penetrant wie ein viel zu lauter Orgelton. Er öffnete die Augen, schloss sie wieder, öffnete sie, dann ein erneuter Schmerz, er schloss die Augen, biss die Zähne zusammen …
»Wie geht es Euch?«
Es war Angelo. Er kniete neben Sandro, die Hände umklammerten ein Tuch und tauchten es in eine Schüssel mit Wasser. Sandro musste daran denken, dass sein Kopf nun schon das zweite Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden verarztet werden musste.
»Sag du es mir«, antwortete Sandro. »Ich weiß nur noch, dass ich mich über die Fetzen beugte … Wo sind sie?«
Die Papierfetzen und sogar die Asche waren verschwunden.
»Der Angreifer«, sagte Angelo, »hat den Schürhaken benutzt. Ihr könnt von Glück sagen, dass Ihr nur besinnungslos geworden seid. Hätte der Schlag Euch am Kopf statt im Nacken getroffen, wäre es Euch schlechter ergangen.«
»Ich werde mein Dankgebet auf später verschieben, wenn es dir recht ist. Wie kommst du überhaupt hierher?«
»Nach ein paar Stunden fing ich an, mir Sorgen zu machen.«
»Ein paar Stunden?«
»Es ist später Nachmittag, fast Abend. Also habe ich mir ein schwarzes Gewand aus der Kleiderkammer des Collegiums angezogen und bin hierhergekommen. Die Hausmeisterin sagte, sie habe Euch nicht weggehen sehen.«
»Heißt das«, fragte eine halbtrunkene Stimme von hinten, »du bist überhaupt kein Jesuit? Und der da? Was geht hier vor?« Sie ergriff den Schürhaken, der neben dem Kamin lag. »Ich werde Euch Beine machen, ihr Betrüger.«
Sandro bemerkte die Hausmeisterin erst jetzt. Aber Angelo war Herr der Lage.
»Der Verletzte«, entgegnete er, »ist Seine Exzellenz, Sandro Carissimi, Privatsekretär und Visitator Seiner Heiligkeit.«
Die Stimmung der Hausmeisterin wechselte so schnell wie die eines schreienden Säuglings, dem man süßen Apfelbrei ins Mäulchen stopft.
»Benötigt Ihr irgendetwas?«, fragte sie. »Frisches Wasser, Branntwein, ein Kissen?«
»Nur etwas Ruhe.« Angelo erhob sich und nahm ihr den Schürhaken weg. »Und die Auskunft, was es mit dieser Wohnung auf sich hat.«
»Ich - ich weiß nicht viel, eigentlich gar nichts. Ich bin ja nur die Hausmeisterin, habe für frische Wäsche gesorgt … Ansonsten habe ich nur den Jesuiten, die nach der Wohnung fragten, den Weg gewiesen, so wie dem Visi… dem da vorhin.«
»Jemand wird die Wohnung doch wohl angemietet haben?«
»Ja, ja, zwei Jesuiten, aber ich kenne ihre Namen nicht, sie haben gesagt, ich soll sie einfach Bruder nennen, das reicht. Und das habe ich gemacht. Sie kamen fast jeden Tag hierher, nur gestern nicht. Der eine ist jung und sehr freundlich, der andere ist schmal, hat einen kleinen Kinnbart und scheint so klug zu sein, dass er es für unter seiner Würde hielt, mit mir zu sprechen.«
»Ist einer von den beiden am Nachmittag hier gewesen? Ich rate Euch zur Wahrheit.«
»Ich habe niemanden gesehen. Ehrlich nicht. Aber ich achte nicht immer darauf, ich habe ja viel zu tun und …«
»Danke, Ihr könnt jetzt gehen.«
Die Hausmeisterin ging hinaus, ihre Weinbranntfahne hingegen blieb zurück.
Langsam kam Sandro wieder zu sich, das Pochen wurde schwächer, und er fühlte sich kräftig genug, um aufzustehen und sich an den Tisch zu setzen.
»Rodrigues und de Soto«, sagte Angelo, und Sandro nickte.
Rodrigues oder Luis, einer von den beiden hatte ihn niedergeschlagen, vielleicht nicht mit dem Vorsatz, ihn zu töten, doch die Gewaltanwendung zeigte, dass viel auf dem Spiel stand. Nun waren sie vorgewarnt. Keiner von ihnen würde sich hier noch einmal sehen lassen. Natürlich würde man sie der Hausmeisterin
gegenüberstellen und Rechenschaft über ihr Treiben verlangen können, doch würde Luis, der Rhetoriker und Machtmensch, geschickt genug sein, eine glaubwürdige Erklärung für all das zu erfinden. Nein, die Zeit war noch nicht reif, ihn anzuklagen.
»Gibt es
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