Der Schwarze Papst
tagsüber jedoch wurde das Idyll von Polizeistreifen gestört. Hätte Franco sich nicht so gut ausgekannt …
Rosina und Tilman lagen im Schatten einer kleinen Kirche, die zurzeit nicht genutzt wurde. Kein Garten Eden. Ein Friedhof war nur ein paar Schritte entfernt, und totes Laub vom Vorjahr war das Bett, auf dem sie sich räkelten. Die Hitze war erbärmlich, man wünschte sich Regenschauer, die nicht kamen. Franco stand auf der anderen Seite der Kirche Wache.
»Tut mir leid«, sagte Rosina.
»Das macht doch nichts. Im Heu meiner Heimat ist es zwar viel bequemer, aber …«
»Aber?«
»Da gibt’s keine Rosina. Mir ist jeder Ort recht, wenn du nur da bist.«
Sie lächelte. »Du bist lieb. Meine Entschuldigung galt eigentlich meiner - meiner Zurückhaltung.«
Sie hatte Tilman lediglich gestattet, ihren nackten Körper überall anzufassen und zu liebkosen, wo es ihm gefiel, solange er dazu allein die Hände oder die Lippen benutzte. Er hätte es schlimmer treffen können, oder? Auf ihren Körper hielt sie etwas, er war harmonisch gebaut, braun und glänzend wie eine Bronzebüste. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob Tilman sich lange Zeit damit zufriedengeben würde, nur mit der oberen Hälfte seines Leibes lieben zu dürfen. Doch in diesem Punkt hatte Franco nicht mit sich reden lassen: Was, wenn du schwanger wirst, Rosinchen, und wenn der reiche Esel begreift, dass das Kind nicht von ihm ist?
»Macht doch nichts, im Gegenteil«, antwortete Tilman. »Die Liebe sollte wachsen wie ein Baum, ganz langsam, damit sie alt wird. Sieh dir an, was mit den sprießenden Blumen passiert: Sie blühen ein paar Tage prächtig, und dann gehen sie kaputt.«
So viel wie für Tilman hatte Rosina noch nie für jemanden
empfunden. Dabei machte er äußerlich wenig her - die roten Haare, die kleine, gedrungene Statur, das unscheinbare Gesicht, der seltsame Flaum auf seinen Schläfen. In Rom traf sie jeden Tag fünfzig Männer, die zehnmal stärker und schöner als Tilman waren. Auch Gisbert war viel feiner gebaut, viel schöner. Dennoch wirkte das nicht auf Rosina. Was ihr an Tilman gefiel, fand sich nicht beim Hinsehen, sondern beim Zuhören. Er hatte ihr beispielsweise gestanden, was er heute Morgen vorgehabt hatte - den Schuss. War das nicht bezaubernd? Franco hätte einem Rivalen den Kopf weggeschossen. Und Tilman? Zwei Schrotkügelchen. Und die bereiteten ihm sogar noch ein schlechtes Gewissen. Er war wirklich ein guter Mann, so behutsam in seinem Charakter. Mit seinen rauen Fingerspitzen streichelte er über ihre Brüste, als wären sie Skulpturen - Gisbert dagegen packte sie wie einen Mehlsack. Es war das Zögernde, Umsichtige, bisweilen Unbeholfene, das ihr gefiel. Die Unschuld.
Die Küsse und die Hitze hatten Rosinas Mund ausgetrocknet. Sie richtete sich ein wenig auf und stützte sich auf die Ellenbogen, während ihr Blick über den Kirchhof und die Mauer und die Quader der benachbarten Häuser hinweg in den Himmel ging. Ein Pinienast schaukelte inmitten ihres Blickfeldes leicht, und Rosina stellte sich vor, sie läge woanders, wo ebenfalls ein Ast schaukelte, ein Buchenast vielleicht. Dort, an diesem anderen Ort, war eine Decke für sie ausgebreitet worden, daneben standen kühler Wein und ein Korb voller Kirschen, lag ein Bündel Heu, auf das sie ihren Kopf bettete … In der Nähe waren Felder und Wiesen sowie Tiere, die frei herumliefen. Tilman war bei ihr, und sie liebten sich dort. Sie stillten ihren Durst mit Küssen, von denen sie durstig wurden, ein ewiger Durst, der ewig gestillt wurde. Wenn sie sich umdrehten, erblickten sie ein Schloss mit Zinnen und Wehrgängen: Donaustauf.
Donaustauf: Wie es aussah, wusste Rosina nicht, aber sie ahnte, wie ein Schloss auszusehen hatte, und genauso sah Donaustauf aus. Sie hatte immer von fernen Städten geträumt - Saloniki, Montserrat, Fontainebleau -, und nun träumte sie eben von Donaustauf. Es lag nah, so nah.
So nah.
Tilman hatte sich nun ebenfalls ein wenig aufgerichtet, folgte ihrem Blick und sagte: »Wenn ich zwischen dir und dem Collegium wählen muss, dann wähle ich dich. Wenn ich dich oder meinen Vater, der sein letztes Geld für meine Ausbildung bezahlt hat, enttäuschen muss, dann enttäusche ich ihn. Ich werde nicht ohne dich leben, Rosina. Wir werden wenig Geld haben, aber es wird schon gehen.«
Armut: Dieses Wort riss ein Loch in den Himmel, groß wie ein Grab.
»Nein! Nein, das darfst du nicht.«
»Wenn wir nicht noch jahrelang aufeinander
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