Der Schwarze Papst
alles einen Sinn.«
Mein Gott, wie nahe Sandro vor der Wahrheit stand, er könnte buchstäblich die Hand nach ihr ausstrecken. Zugeben oder leugnen? Einen Atemzug lang stand es auf der Kippe.
Leugnen. Es riskieren, zu leugnen.
»Nicht alles ergibt einen Sinn«, erwiderte Julius.
»So?«
»Ja. Denn wenn es sich verhielte, wie du sagst, wenn Massa mir mit dem Mord an dieser Frau einen Gefallen erweisen wollte, dann hätte ich ja wohl davon wissen müssen.«
Sandro antwortete ihm nicht, und das war wie eine Ohrfeige.
Julius erhob sich. Wenn er jetzt nicht großes Theater spielte, war alles verloren. Zwar konnte Sandro ihm nichts anhaben, denn was war dieser junge Mann anderes als ein Mönch, ein Bediensteter des Vatikans, eine einzelne Stimme gegen die Macht des Apostolischen Stuhls. Sandros Bedeutung hatte jedoch nichts mit seiner Stellung zu tun, sondern mit dem Gefühl von Nähe und Verständnis, ja, von Vaterschaft, das Julius für ihn empfand. Ihn zu verlieren, das wäre für Julius wie der Tod eines zweiten Sohnes gewesen, nachdem er den ersten bereits verloren hatte. Nach Sandro käme die Einsamkeit.
»Mir zu unterstellen, ich würde Mordaufträge erteilen oder solche auch nur gutheißen, ist wohl das Niederträchtigste, Gemeinste,
Bösartigste, was mir seit langem vorgeworfen wurde. Das heißt dann ja wohl auch, dass ich das gestrige Attentat auf dich befohlen habe, oder nicht? Ich habe dich gefördert, habe mich dir anvertraut, die Beichte bei dir abgelegt, meine Sünden offenherzig gestanden, habe dir geholfen, dich mit der Frau, an der dir liegt, auszusöhnen … Und all das habe ich natürlich nur getan, um dich am Ende umbringen zu lassen. Völlig logisch!«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Vielen lieben Dank! Es ist ungerecht, mich für alle Untaten meiner Untergebenen verantwortlich zu machen. Du weißt sehr gut, dass der Vatikan eine Schlangengrube ist, und wenn ich nur ein Zehntel von dem wüsste, was tagein und tagaus unter meinem Dach ausgeheckt wird, hätte ich keine ruhige Nacht mehr. Massa hatte eine zentrale Position innerhalb des Vatikans inne, er hat Hunderte von Geschäften gemacht und Tausende von Absprachen getroffen, von denen ich keine Ahnung hatte und habe. Er hat immer sein eigenes Spiel gespielt, das tut hier jeder. Angenommen, er gab tatsächlich einen Mord in Auftrag, dann kann er dafür die verschiedensten Gründe gehabt haben, nicht nur den Grund, mir einen Gefallen zu tun. Er stand in Verbindung zu Kardinälen, zu Adelsfamilien … Und du nimmst einfach so an, ich stecke hinter allem. Das ist verletzend, Sandro, zutiefst erniedrigend.«
Julius hatte eine gute Vorstellung gegeben. Die Worte waren ihm zugeströmt. Er kannte seinen Sandro und dessen Schwächen … Ein scharfsinniger Mann, weichherzig und wohltätig. Nichts hasste Sandro mehr als Ungerechtigkeit. Genau dort musste Julius ihn packen, bei seinem Sinn für Gerechtigkeit und bei seiner Intelligenz. Mit seiner erbosten Ansprache hatte er Sandro zu denken gegeben, das war deutlich zu sehen. Jetzt nur keinen Fehler machen, nur nicht zu weit gehen und eigene Vorschläge machen, was Massa bewogen haben könnte, Carlotta umzubringen. Sandro musste selbst nach einer Lösung
suchen, nur dann würde er sie auch akzeptieren. Julius hatte Worte gesät, aber er überließ Sandro die Schlussfolgerung.
»Massa hat oft die Huren besucht«, überlegte Sandro laut. »Und Carlotta war eine Hure. Es wäre immerhin denkbar, dass es einen Konflikt zwischen den beiden gegeben hat, von dem ich nichts mitbekommen habe. Wenn Massa im eigenen Interesse den Auftrag zu meiner Ermordung erteilt hat - wovon ich ausgehe -, dann spricht manches dafür, dass er auch vorher schon im Eigeninteresse und ohne Wissen anderer handelte.«
Julius wagte den entscheidenden Vorstoß.
»Nein, Sandro, nein, das genügt mir nicht. Möglich, denkbar, hätte, wäre, könnte - damit brauchst du mir nicht zu kommen. Hier geht es um eine folgenschwere, eine absolut ausschlaggebende Frage für unser weiteres Verhältnis zueinander. Glaubst du - und sei es auch nur vage -, dass ich mit Massa konspiriert habe mit dem Ziel, die Frau, von der du gesprochen hast, umzubringen? Ja oder Nein? Ich muss das jetzt wissen.«
Sandro zögerte. »Ich …« Er zögerte erneut. »Nein, das glaube ich nicht.«
»Sieh mir in die Augen und wiederhole es.«
Sandro sah ihn an. »Nein, Eure Heiligkeit, ich glaube nicht, dass Ihr dazu fähig wärt.«
Julius nickte und setzte
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