Der Schwarze Papst
sich wieder. »Gut«, seufzte er. »Ich nehme deine Entschuldigung an.«
Ein längeres Schweigen trat ein. Schließlich sagte Sandro: »Wenn wir Milo aufgegriffen haben, werden wir vielleicht herauskriegen, wer hinter allem steckt, und damit ist Euch dann genauso geholfen wie mir. Seine Festnahme dürfte nur eine Frage von Stunden, allenfalls von Tagen sein.«
Julius, der sich gerade wieder beruhigt hatte, geriet erneut in Aufregung. »Was macht dich da so sicher?«, fragte er mit aller gebotenen Arglosigkeit.
»Ich habe eine Fahndung nach Milo eingeleitet. Hauptmann Forli ist mit einer Mannschaft zum Teatro unterwegs, und alle Streifen und Torwachen der Stadt sind angewiesen worden, Milo festzunehmen, wenn er ihnen begegnet. Die Personenbeschreibung, die ich erstellt habe, dürfte ausreichen.«
Zum zweiten Mal an diesem Abend drehte sich Julius der Magen um. Kaum war die eine Krise abgewendet, rollte die nächste auf ihn zu.
Um sich nichts anmerken zu lassen, aß er mit scheinbar großem Appetit, tatsächlich jedoch mit großem Widerwillen, weiter. Allerdings trank er mehr, als er aß, denn der Wein regte seinen Gedankenfluss an.
Drei Szenarien: Erstens - Milo hatte die Stadt bereits verlassen. Zweitens - Milo würde festgenommen werden. Drittens - Milo hatte die Stadt noch nicht verlassen und bemerkt, dass nach ihm gefahndet wird.
Erstens war gut, sehr gut, ein dreifaches Hoch, Hoch, Hoch auf Milo.
Zweitens war schlecht. Milo würde reden, alles verraten. Schon deshalb, um ihm, Julius, der ihn vermeintlich hintergangen hatte, zu schaden.
Drittens war eine Katastrophe, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen war ein in der Stadt gefangener, verfolgter Milo wie ein verwundeter Wolf. Die Abmachungen galten nicht mehr, und Sandro wäre seines Lebens nicht mehr sicher. Zum anderen bestand dieselbe Gefahr wie bei Zweitens . Milo hatte Julius in der Sixtina gedroht, sein Geheimnis preiszugeben, falls ihm etwas zustieße.
Das alles durchdachte er, während er mit Sandro Konversation über irgendeinen Diener führte, der geeignet wäre, Sandros Assistent zu werden. Julius sagte zu allem Ja und Amen, und er war froh, als Sandro sich endlich verabschiedete.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. In einer Stunde würden die Tore geschlossen.
Und es gab nichts, gar nichts, was Julius tun konnte.
Außer beten.
Eigentlich hatte Milo erst morgen früh die Stadt verlassen wollen. Dann hätte er noch Zeit gehabt, Abschied zu nehmen. Er war auf seine Art ein sentimentaler Mensch, auch wenn jemand, der sein Leben, seine Schuld und Sünden und seine emotionale Kälte gekannt hätte, einem wie ihm nie und nimmer Sentimentalität zugestanden haben würde. Aus seiner Mutter machte er sich nicht viel; Freundschaft war ihm unbekannt; Rom war ein Misthaufen; außer Antonia hatte er keinen Menschen auf der ganzen Welt geliebt, und Antonia hatte er nur deshalb geliebt, weil sie ihn geliebt hatte, was bedeutete, dass er im Grunde nicht ihr, sondern nur dem Gefühl, jemandem zutiefst zu gefallen, zugeneigt gewesen war. Dieses Gefühl war im gleichen Moment erloschen, als er bemerkt hatte, dass es in ihren Augen erloschen war - auf der Wiese an der Stadtmauer. Da hatte er Antonia verloren; und vorhin auf dem Gerüst, da hatte er nur einer schönen und zugleich seltsam fremden Erinnerung gegenübergestanden.
Trotzdem - er wäre gern noch einmal kreuz und quer durch die Stadt gegangen, um die Huren lachen, die Säufer grölen und den Tiber rauschen zu hören. Carissimi, wieder einmal Carissimi, machte ihm einen Strich durch die Rechnung, und er musste die Stadt seines Lebens überstürzt verlassen.
Von dem Geld des Papstes - der größte Teil war Milo als Wechsel ausgestellt, der geringste in bar gegeben worden - hatte er sich ein tüchtiges Pferd gekauft, auf dem er auf die Porta San Paolo zuritt. Dahinter lag - nun ja, eigentlich lag dahinter die Via Ostiense, die Straße nach Ostia, wo er in einer der zahlreichen Herbergen übernachten würde. In einem größeren
Zusammenhang gesehen, befand sich hinter der Porta viel mehr als eine Straße, nämlich die ganze Welt, seine neue Welt. In Ostia würde er ein Schiff nach Cádiz besteigen, und in Cádiz ein Schiff nach San Domingo.
Als er sich der Porta näherte, bemerkte er, dass die Wachmannschaft verstärkt worden war und dass ein Müller, der mit seinem Fuhrwerk die Pforte passieren wollte, kontrolliert wurde. Eine Kontrolle der hereinkommenden Personen und Wagen war
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