Der Schwarze Papst
sein.
Sandro kam durch den Garten auf Julius zu.
»Setz dich zu mir, Sandro. Du solltest mich öfter besuchen. Ich weiß, dass die lauten Feiern nichts für dich sind, aber einmal in der Woche sollten wir beide gemeinsam zu Abend essen. Hier im Garten, was meinst du?«
»Ich bin nicht sicher, Eure Heiligkeit, ob es angemessen ist, dass der Papst mit seinem Privatsekretär speist.«
»Angemessen! Wirklich, Sandro, du müsstest dich mal hören. Petrus hat mit den einfachsten Leuten zusammengesessen, und was ihm recht war, das ist seinem zweihundertzwanzigsten
Nachfolger nur billig - oder bin ich der zweihundertneunzehnte?«
»Eure Einstellung gefällt mir. Dann habt Ihr sicher nichts dagegen, wenn Ihr einmal im Monat eine Armenspeisung veranstaltet, der Ihr vorsitzt. Ich werde also alles veranlassen, ja?«
Noch nicht einmal die Aussicht, schon bald neben verlausten, zahnlosen Bettlerinnen zu sitzen, trübte Julius’ Laune an diesem Abend.
»Wenn ich mir dich heute so betrachte«, sagte er, »bekomme ich einen guten Eindruck von dieser Armenspeisung. Deine Soutane ist verdreckt, du bist unrasiert - und das da auf dem Kopf, ist das eine Wunde?«
Sandro nickte.
»Dieses Amt als Visitator«, sagte Julius und seufzte. »So hatte ich mir das nicht für dich vorgestellt. Ich finde, Visitatoren sollten hinter einem schweren Tisch auf einem Podest sitzen, bekleidet mit einer schönen Robe, flankiert von zwei Beisitzern, und bohrende Fragen stellen.«
»Das gibt es bereits, Eure Heiligkeit. Man nennt es Inquisition, und es ist zur Aufdeckung von Verbrechen ungeeignet. Da wir gerade davon sprechen …«
Julius unterbrach ihn mit einer Handbewegung und rief sogleich nach einem zweiten Gedeck.
»Du siehst hungrig aus.«
»Ich habe tatsächlich den ganzen Tag nichts gegessen.« Sandro nahm sich einen Kräuterfladen und ein Bruststück vom Rebhuhn, während Julius ihm Wein einschenkte.
»Übrigens, Sandro, vorhin bekam ich die Nachricht, dass Massas Leichnam in einem Dorf zwischen Rom und dem Meer angeschwemmt wurde. Tragisch, nicht? Ich kann’s noch gar nicht fassen.«
»Das ist ja … Was weiß man darüber?«
»Sicherlich war er in irgendeine schmutzige Sache verwickelt, ansonsten landet man doch nicht tot im Tiber.«
Julius schwenkte den Kelch und nahm einen sehr großen Schluck. Als er wieder aufblickte, hatte Sandro die Nachricht offensichtlich verarbeitet.
»Das passt zu dem, was ich ohnehin mit Euch besprechen wollte, Eure Heiligkeit. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Bruder Massa einen Auftragsmörder bezahlte.«
Diese Eröffnung kam Julius wie ein Schlag vor. Augenblicklich wurde ihm flau, die Speisen in seinem Magen waren ekliger Ballast, der Wein dröhnte in den Ohren, und das Herz wurde schwer wie Blei und schien die gesamte Brust einzunehmen. Zu allem Übel haftete Sandros Polizeiblick auf ihm wie auf einem Delinquenten. Allen Verstand zusammennehmend, folgte Julius den Ausführungen Sandros, und obwohl er nur die Stichworte mitbekam, genügten diese, um ihm die Kehle zuzuschnüren: Massa; geheime Treffen auf dem Palatin; Milo; Sturz aus dem Fenster; irgendein Lello Volone; Spitzel; Auftragsmord; Anschlag auf Sandro. Und dann, schließlich, den Namen, den er am meisten fürchtete: Carlotta da Rimini.
»Ihr erinnert Euch an sie, Eure Heiligkeit?«
Mühsam bekam er die Worte heraus: »Ich wüsste nicht …«
»Ihr seid ihr einmal in meiner Anwesenheit begegnet. Das war kurz vor ihrem Tod. War Euch bekannt, Eure Heiligkeit, dass Carlotta da Rimini Eurem Sohn nach dem Leben trachtete?«
»Innocento? Wieso sollte diese Carlotta … Ich verstehe kein Wort.« Aber er verstand alles nur allzu gut.
Und wieder rollte Sandro gleichsam einen schmutzigen, blutigen Teppich der Vergangenheit vor ihm aus: dass Carlotta sich an ihm, dem Papst, hatte rächen wollen, weil die Inquisition ihre Tochter auf dem Gewissen hatte; dass sie ihm deshalb den Sohn hatte nehmen wollen; dass sie ihr Ziel womöglich
erreicht hatte, weil Innocentos angeblicher Selbstmord zweifelhaft war.
»Es wäre doch möglich«, folgerte Sandro, »dass Massa, um Euch einen Gefallen zu tun, die Ermordung Carlottas in die Wege leitete, indem er einen Mörder beauftragte: Milo. Die beiden waren sich vermutlich schon früher im Teatro begegnet, dem Hurenhaus von Milos Mutter, dessen Leistungen Massa bisweilen in Anspruch nahm. Wahrscheinlich war Carlottas Ermordung nicht der erste Auftrag, den Milo für Massa ausführte. Ihr seht, es ergibt
Weitere Kostenlose Bücher