Der Schwarze Papst
war noch ein Kind. Neunzehn, nun gut. Trotzdem noch ein Kind.«
Sie stützte sich mit beiden Händen auf einer Arbeitsplatte ab. Wieder zuckte ihr Körper.
»Weißt du, wie er mich nannte? Mama Giovanna. Mama Giovanna. Alle Schüler im Collegium nennen mich so: Mama. Wie kann man da nicht weinen?«
Sie hielt in ihren Bewegungen inne. Sandro ging zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. »Es ist gut. Weine, Giovanna. Weine, Mama.«
Sie sah ihn an. Dann glitt der Hauch eines Lächelns über ihre Lippen. Dass er sie Mama genannt hatte, gefiel ihr.
Sie schob ihm den Becher zu. »Ingwer mit Honig. Schmeckt unwiderstehlich.«
»Davon bin ich überzeugt.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und eroberte sich dadurch ein Stück des rauen Wesens zurück, das ihr eigen war. »Rede nicht, trink.«
Er trank, und als er ihr zulächelte, lächelte sie zurück. »Du bist der Einzige, der sich bisher in der Küche hat blicken lassen - außer Birnbaum, der mir kurz gesagt hat, was passiert ist.«
»Die anderen haben vom Ehrwürdigen die Aufgabe erhalten, zu beten.«
»Ich weiß, ich weiß. Gebetet wird viel in diesem Haus. Geholfen hat’s nichts. Keine gute Stimmung hier. Von Anfang an nicht. Hier ist der Wurm drin. Auch die Schüler sind nicht gerne hier, außer dem Johannes. Aber der Gisbert und der Tilman, die haben mich mal zu meiner Wohnung begleitet, als es spät und dunkel war, und da haben sie mir beide gesagt, dass sie das bevorstehende Studium nur absolvieren, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Es liegt kein Segen über diesem Haus, das spüre ich bis in die Knochen. Du hast doch nicht etwa vor, hier als Lehrer zu arbeiten?«
»Nein, ich …«
»Das kann ich ja nicht mit ansehen«, unterbrach sie ihn.
»Was?«
»Wie dünn du bist. Warte, ich gebe dir was zu essen.«
»O nein, ich …«
»Keine Widerrede.« Sie fischte mit einem riesigen Löffel in diversen Töpfen nach Speisen, die sie auf eine Platte legte und ihm vorsetzte. »Zartere geschmorte Nierchen hast du nie gegessen. Versuch die zuerst.«
»Ich habe ja vorhin schon …«
»Nun zier dich nicht, mein Junge - äh, Bruder.« Sie lachte. »Iss. Nun iss endlich.«
Er sah auf die Platte hinab, dann streifte sein Blick nachdenklich über die zahlreichen Töpfe und Pfannen.
»Genau genommen«, sagte er, »wäre es besser, das alles wegzuwerfen. Johannes wurde vergiftet, und wir wissen noch nicht, worin das Gift war. Ich glaube zwar nicht, dass …«
Er kam nicht weiter.
Giovanna riss Augen und Mund auf. »Heißt das, du nimmst an, es ist in meinem Essen?«
»Vermutlich ist es nicht …«
»Aber du schließt es nicht aus?«
»Immer mit der Ruhe, Mama Giovanna. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich gar nichts ausschließen.«
Giovanna zögerte keinen Moment. Sie machte sich mit der Kelle über alle Töpfe her, und Sandro, der sie aufzuhalten versuchte, wurde von ihren kräftigen Armen zurückgestoßen. Nieren, Fischsuppe, Kaninchenfleisch - alles stopfte sie in sich hinein. Und als sie fertig war, rief sie: »So, wenn ich morgen tot bin, weißt du, dass es Selbstmord war. Dann habe ich mich selbst vergiftet.«
»Giovanna, was hast du da gemacht? Niemand verdächtigt dich.«
»Und damit das so bleibt, habe ich den besten Beweis für meine Unschuld geliefert. Ich habe nur von dem Essen gekostet, das ich selbst gekocht habe. Die deutsche Pampe, die dieser Birnbaum zusammengepanscht hat, habe ich nicht angerührt.«
»Aber was, Giovanna, wenn der Mörder ohne dein Wissen etwas in dein Essen gegeben hat?«
»Das kann nicht sein. Ich bin ja erst ins Collegium gekommen, als die anderen zur Messe gegangen sind. Und ich war die ganze Zeit hier. Außerdem schmecke ich den ganzen Abend lang mein Essen ab. Da hätte ich schon dreimal tot umfallen müssen. Und du auch. Oder hast du vorhin an der Tafel etwa mein Kaninchen und die Nierchen nicht angerührt?«
Sie griff nach dem Kochlöffel und schwang ihn.
»Doch, natürlich habe ich davon gegessen«, beeilte Sandro sich zu bestätigen.
Sie ließ den Löffel sinken, und er fiel zu Boden. Der Ausdruck unendlicher Müdigkeit senkte sich wie ein Vorhang über ihr Gesicht, über den ganzen Körper. »Ich will nach Hause«, sagte sie. »Darf ich nach Hause, Bruder Sandro?«
Sandro war ergriffen von ihrer ermatteten, kraftlosen Stimme. Innerhalb einer Viertelstunde war Giovanna abwechselnd todtraurig, dann heiter und zornig gewesen, und schließlich war sie entkräftet. So waren sie, die römischen
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