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Der Schwarze Papst

Titel: Der Schwarze Papst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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verdient, mit Widerwillen
und Geringschätzung betrachtet zu werden. Sandro war noch immer Jesuit genug, um sich so etwas zu verbieten.
    Er durchsuchte noch rasch die Truhe, fand jedoch nichts als ein paar Kleider. Es war so, als habe der junge Schüler alle Habseligkeiten, die er auf Erden besaß, dort zurückgelassen, wo seine Heimat war.
    Sandro trat zu Johannes, und während er ihm die Augen schloss, flüsterte er ein Gebet. Dann, fast übergangslos, sagte er: »Zwei Stunden, Johannes von Donaustauf. Was hast du in diesen zwei letzten Stunden gemacht?«

3
    Bevor Sandro ins Obergeschoss zum Ehrwürdigen gehen würde, warf er noch einen Blick in den Speisesaal. Es war offensichtlich, dass Ignatius kurz vorher dort gewesen war und das Nötigste mitgeteilt hatte. Die Gäste waren fortgeschickt worden, und die Mitbrüder knieten vor dem Kreuz und beteten für die Seele des Toten. Zufrieden stellte Sandro fest, dass dort, wo Johannes gesessen hatte, die Speisen von Doktor Pinetto abgeräumt worden waren.
    Er wollte sich gerade abwenden, als er von der geöffneten Seitentür her, dort, wo es zur Küche ging, ein Schluchzen vernahm, das Schluchzen einer Frau, das augenblicklich sein Mitleid erregte. Unmöglich für ihn, es einfach zu ignorieren. Es zog ihn an, und obwohl er sich in Erinnerung rief, dass der Ehrwürdige auf ihn wartete, gab er dem Drang nach, diesem Ruf der Traurigkeit zu folgen.
    In der Küche angekommen, blickte er auf jene Frau, die vorhin geholfen hatte, die Speisen aufzutragen. Sie sah ihn nicht. Sie saß auf einem Schemel vor einem fleckigen Holztisch, auf
dem ihre schweren Arme ruhten. Ihr Körper zuckte bei jedem Schluchzen.
    »Ich bin Bruder Sandro«, sagte er und setzte sich neben sie.
    Langsam hob sie den Kopf. Ihr Gesicht glänzte feucht und war vom Weinen verquollen.
    »Giovanna«, schluchzte sie, und erneut zuckte ihr korpulenter Körper. »Soll ich dir Kräutersud machen, Bruder Sandro?«
    »Nein, danke.«
    »Doch, doch, ich kann auch einen brauchen.« Sie stand auf, und Sandro lächelte, als sie mit geübten Handgriffen die Zutaten zusammensuchte. Sie war eine Mama, wie man sie sich wünschte - und wie halb Rom eine hatte: immer um das Leibeswohl der Schützlinge besorgt. So typisch wie ihr Name waren auch ihre Korpulenz, die schweren, kurzen Beine, der schwarze Haarknoten auf dem Hinterkopf und die Kraft und Lebenserfahrung, die von Frauen wie ihr ausgingen.
    Giovanna wandte Sandro bei der Zubereitung des Suds den Rücken zu. Eine römische Mutter, wusste Sandro, zeigt ihre Traurigkeit nicht gerne, obwohl sie häufig traurig ist. Die vielen Kinder machen Sorgen, eines ist immer in Schwierigkeiten, und die Mama versucht, mit einer Mischung aus Herzlichkeit und Strenge die Familie zusammenzuhalten, gleichsam eine Kapitänin auf rauer See. Selbst die schwierigsten Söhne wagen kaum, die Autorität der Mama anzuzweifeln.
    »Hast du ihn sehr gemocht?«, fragte Sandro, der sich sofort auf ihr vertrauliches Du einließ, das bei den einfacheren Schichten gang und gäbe war.
    »Er hatte keine Mutter, weißt du? Das hat er mir erzählt. Ich finde, jeder Junge seines Alters sollte eine Mutter haben. Jemanden, der an ihm hängt, an ihn denkt, für ihn betet … Er hatte keine mehr. Und nun ist er tot. In seinem Alter - das ist nicht recht. Ich habe neun Kinder, zwei sind tot, eines starb vier Tage nach der Geburt, ein anderes mit sieben Jahren. Wenn sie
so jung sind, kann viel passieren, die Blattern, das Fieber, die Unfälle, man ist als Mutter darauf eingestellt. Aber wenn die Kinder erst einmal fünfzehn Jahre alt sind, denkt man, dass sie es geschafft haben. Zwischen fünfzehn und dreißig ist das beste Alter: Die Liebe kommt, die Hoffnung, die Heirat, für manche das Abenteuer. Sie in dieser Zeit aus dem Leben zu nehmen - wie kann man da nicht weinen? Sag mir das, Bruder Sandro? Wie kann man da nicht weinen?«
    Giovanna brühte den Sud auf. Noch immer wandte sie Sandro den Rücken zu.
    »Niemand weint um ihn. Alle beten, aber niemand weint. Ich kannte ihn nicht gut, woher auch, er war ja noch nicht lange da, und auch ich war erst vier-, fünfmal in diesem Haus. Ich sah ihn ab und zu, schlug ihm auf die Finger, wenn er an meine Töpfe ging, um zu naschen … Gestern Abend hat er auch genascht. Er rannte durch die Küche in den Hof, auf die Latrine, und als er zurückkam, steckte er seinen Finger in meine Fischsuppe. Ich warf eine Kirsche nach ihm. Das war das letzte Mal, dass ich … Dio mio. Er

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