Der Schwarze Papst
aber nur sehr wenige sind tödlich, und auch dann nur in hohen Dosen. Da wir also wissen, dass die Dosis hoch war, muss sie kurz vor dem Anfall aufgenommen worden sein, denn tödliche Wirkstoffe in beträchtlichen Mengen gelangen schnell ins Blut. Ergo: maximal zwei Stunden. Es wäre aber auch möglich, dass das Gift unmittelbar vor dem Anfall geschluckt wurde, und zwar dann, wenn die Dosis nicht nur hoch, sondern extrem hoch war.«
»Und in welcher Form wurde das Gift geschluckt? Was vermutet Ihr?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schüler die Poleiminze als Pflanze gegessen hat. Sie schmeckt unangenehm. Ihr erwähntet, die Symptome zeigten sich während des Essens?«
»Ja, der Schüler aß ein wenig, und dann ging er ans Pult. Von da an bis zu seinem Anfall verging eine Weile, aber weit weniger als eine Stunde, allenfalls das Fünftel einer Stunde.«
»Der Geschmack und Geruch der Poleiminze muss von einem anderen Geschmack und Geruch überlagert worden sein, von starken Würzkräutern beispielsweise, oder der ölige Saft der Poleiminze wurde in einer großen Menge Flüssigkeit gelöst.«
»Im Wein?«
»Das wäre möglich. In einem großen Becher Wein würde Saft von der Menge eines Suppenlöffels kaum auffallen. Der Wein würde nicht besonders gut schmecken, aber auch nicht zum Speien schlecht. Eine weitere Möglichkeit wäre, wenn der Schüler etwas zu sich genommen hätte, von dem er bereits im Vorhinein einen strengen Geschmack erwartete, eine Medizin vielleicht.«
»Habt Ihr eine Methode, um festzustellen, ob das Gift im Essen war?«
Und wieder schien Pinetto in seiner Ehre gekränkt. »Ich kümmere mich darum. Gebt mir Zeit bis morgen Abend, Exzellenz, dann sage ich Euch alles, was Ihr wissen wollt. Ich packe jetzt ein paar Proben des Essens und der Getränke ein.«
»Lasst Euch von den Brüdern zeigen, wo Johannes gesessen hat. Es gab ein paar Gerichte, die in Töpfen herumgereicht wurden, aber jeder von uns hatte auch einen eigenen Teller mit verschiedenen Speisen.« Sandro fiel noch etwas ein. »Und bitte, Doktor, nehmt die Tasche des Magisters mit und prüft, ob sich irgendetwas Verdächtiges darin befindet.«
Pinetto tauschte einen längeren Blick mit Sandro und nickte. »Der Leibarzt des ehrwürdigen Ignatius von Loyola unter Verdacht. Ihr geht die Sache sehr forsch an, Exzellenz. Aber Ihr müsst wissen, was Ihr tut. Guten Abend.«
Sandro blieb mit dem Leichnam allein in dem leeren Zimmer zurück. Unweigerlich betrachtete er das im Tod erstarrte Gesicht. Es war so grau wie die Dämmerung, die zu dieser Stunde das Licht verdrängte. Sandro hatte bislang vermieden, den Toten
allzu genau anzusehen. Er hatte ihn mit Blicken gestreift, mehr nicht. Und davor, während des Anfalls und der Rettungsversuche, war Sandro zu sehr abgelenkt gewesen, um das Gesicht wirklich wahrzunehmen. Die aufgerissenen Augen, die an Sandro vorbei zur Decke starrten, wirkten unheimlich. Es war, als würde irgendein Wahn in ihnen liegen. Der Schmerz, den der junge Mann bei seinen letzten Atemzügen gespürt haben musste, war nirgendwo zu erkennen.
Der Raum versank zusehends in Dunkelheit. Ein kleines, vergittertes Fenster war gerade groß genug, um noch einen grauen Lichtstreifen auf das Kreuz an der Wand zu werfen. Die Ecke, in der eine Truhe stand - das einzige Möbel außer dem Bett -, lag bereits im Dunkeln.
Sandro entzündete zwei Öllampen, und da sie ein zu schwaches Licht gaben, zündete er auch die vier Kerzen an, die in den leeren, im Raum verteilten, großbauchigen Weinkrügen steckten. Eine dieser Kerzen nahm er in die Hand und hielt sie nahe an den Leichnam. Magister Durés Beschreibung des Gesundheitszustands von Johannes von Donaustauf schien zuzutreffen. Der junge Mann war ausgesprochen mager, was seine ohnehin kantigen Gesichtszüge noch verstärkte. Als Sandro mit Daumen und Zeigefinger einen Fußknöchel des Toten umfasste, berührten sich die Fingerspitzen. Johannes hatte ungepflegte Fußnägel und schlecht geschnittene, sehr kurze Haare. Verwahrlosung wäre ein zu starkes Wort gewesen, aber die Nachlässigkeit im Umgang mit seinem Körper war unübersehbar.
Sandro wandte sich ab. Er war drauf und dran, sich ein schlechtes Bild von Johannes zu machen, denn er hatte in den letzten Jahren mehrere Mönche anderer Orden kennengelernt, die sich bis ins Übermaß in ihre Frömmigkeit hineingesteigert hatten, und keiner von ihnen war Sandro sympathisch gewesen. Ein Toter jedoch hatte es nicht
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