Der Schwarze Papst
seiner Ausbildung neben den anderen Gelübden der Keuschheit, Ehelosigkeit und Armut auch noch das einzigartige Gelübde des absoluten und unbedingten Papstgehorsams ab. Auch Ignatius hatte dieses Gelübde geleistet. Seinen Sitz hatte er in Rom aufgestellt, um den Päpsten nahe zu sein - aber böse Zungen meinten, um die Päpste, seine Gefangenen, besser kontrollieren zu können. Denn mit dem Gelübde hatte er nicht nur den Orden an die Päpste, sondern auch die Päpste an den Orden gekettet. Und tatsächlich hatte auch Sandro manchmal den Eindruck, als fürchte Julius die zunehmende Macht des Ordens und seines Generals, des schwarzen Papstes, mehr, als dass er sich darüber freute.
Als Sandro das Zimmer des Generals betrat, stand Ignatius auf, ging ihm mit behutsam erhobenen Armen entgegen und küsste ihn auf beide Wangen, allerdings sehr vorsichtig, so wie man alte Leute küsst.
»Bruder Carissimi. Nun bist du schon so viele Jahre Teil der Gesellschaft Jesu, und wir begegnen uns erst jetzt.« Ignatius sagte das ohne Freude oder Bedauern, er sagte es, als müsste es gesagt werden. Er bat Sandro, näher zu treten. Magister Duré
befand sich noch in dem Raum, der von einem halben Dutzend Öllampen zaghaft erleuchtet wurde. »Der Magister hat dir etwas zu sagen, Bruder.«
Duré räusperte sich und blickte beschämt zu Boden. »Ja, Bruder Carissimi, ich gestehe, Euch belogen zu haben. Oder besser gesagt, Euch etwas, das ich ahnte, nicht mitgeteilt zu haben. Es geht natürlich um den toten Johannes, Gott sei seiner Seele gnädig.« Duré atmete tief durch. »Ich fürchtete, dass seine Atemlähmung keine natürliche Ursache hatte, als sich herausstellte, dass er unfähig war, zu erbrechen. So etwas geschieht nur als Reflex auf einen Wirkstoff. Ich - ich ahnte etwas, ja, insgeheim kam ich zur selben Schlussfolgerung wie Doktor Pinetto. Aber ich …« Er sah Ignatius an, der ihm mit einem Senken der Augenlider bedeutete, fortzufahren. »Aber ich wollte eine Untersuchung verhindern«, sagte er seufzend.
Sandro runzelte die Stirn. »Wieso?«
In den Augen des Mannes bildeten sich Tränen, die im schwachen Licht der Öllampen funkelten.
»Der Gedanke daran, dass die Eröffnung von etwas so Gro ßem und Wichtigem wie des Collegium Germanicum von einem Mord besudelt würde, war mir unerträglich. Der Orden hat Feinde, Bruder Carissimi, zahlreiche Feinde, denen nichts lieber wäre, als diese Gelegenheit zu benutzen, um einen Skandal heraufzubeschwören, der das Ansehen und die Integrität der gesamten Societas Jesu beschädigen würde. Im schlimmsten Fall müsste das Collegium wieder geschlossen werden, weil die Schüler ausbleiben. Das wäre ein bitterer Rückschlag.«
Sandro dachte nach. »Ihr hättet also einen Mörder mit seiner Tat davonkommen lassen?«
»Ja«, sagte er laut und deutlich, warf dem General einen schuldbewussten Blick zu und sprach danach leiser weiter. »Ich nahm nicht an - und nehme immer noch nicht an -, dass jemand von den Brüdern oder Schülern dieses Verbrechen begangen
hat. Ich bin vielmehr der Meinung, dass Johannes außerhalb des Hauses schlechten Umgang hatte. Er war seit seiner Ankunft oft in der Stadt unterwegs, einmal sah ich ihn zufällig mit einem - einem Mädchen und einem Burschen, die beide keinen günstigen Eindruck auf mich machten. Ich schätze …«
»Danke, Magister Duré«, unterbrach ihn der Pater General. »Ich denke, diese Erläuterungen genügen, um Bruder Carissimi Euer Fehlverhalten deutlich zu machen.«
Duré nickte. »Was ich damit nur sagen wollte: Mir wäre es lieber gewesen, irgendein Halunke kommt davon, als dass auf immer ein Schatten über diesem Haus und dem Orden liegt. Ich dachte, ich tue das Richtige, aber der ehrwürdige Pater General hat mir die Augen geöffnet.«
Duré sank auf die Knie. »Ich erbitte Eure Verzeihung, Bruder Carissimi.«
Sandro war es immer schon unangenehm gewesen, wenn Menschen vor ihm auf die Knie gegangen waren, aber ein Gelehrter gehörte nun wirklich nicht dorthin.
Er half ihm auf die Beine und lächelte ihn freundlich an.
»Vergeben und vergessen, Magister Duré.«
Der Magister dankte und ging hinaus.
Sandro war mit Ignatius von Loyola allein.
Jetzt erst - Auge in Auge mit dem General - fielen ihm alle Ordensregeln ein, die Ignatius aufgestellt und Sandro missachtet hatte. In der Regel »Über den Umgang mit Menschen« hatte Ignatius genaue Anleitungen gegeben, wie menschliche Begegnungen abzulaufen hatten: Kopfhaltung,
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