Der Schwarze Papst
Gangart, Augenaufschlag, Verbot von zusammengepressten Lippen, Verbot des Stirnrunzelns … Sandro hatte vorhin die Stirn gerunzelt, er hatte außerdem gelächelt. Nicht gut. Gar nicht gut. Unter dem Blick des Generals fühlte er sich gläsern, oder schlimmer, wie gesprungenes, fehlerhaftes Glas.
Er trat die Flucht nach vorn an.
»Ich bin froh, dass das aufgeklärt ist«, sagte Sandro und versuchte, sein Gesicht und seine Hände so wenig wie möglich zu bewegen sowie seinen Rücken gerade zu halten. »Und ich verspreche, ehrwürdiger Pater General, die Untersuchung diskret zu führen. Doktor Pinetto ist verschwiegen, und außer Seiner Heiligkeit und den Mitbrüdern unten im Saal muss niemand sonst erfahren, dass es heute Abend ein Verbrechen gegeben hat.«
Ignatius nahm Platz und gab Sandro zu verstehen, sich zu ihm zu setzen. Die Stille einer Andacht kehrte ein. Sogar die Flammen der Öllampen brannten ruhig. Loyolas Zimmer war genauso schlicht ausgestattet wie das des Schülers: ein Bett, eine Truhe, ein Kruzifix. Kein Schreibtisch, kein Papier, keine Lektüre, keinerlei Anzeichen von Arbeit, wie man es im Zimmer eines Mannes erwarten würde, der Dutzenden von Kollegien in der ganzen Welt vorstand und dessen Ideen und Worte mittlerweile in Gegenden getragen wurden, für die man noch keinen Namen gefunden hatte. Voller Beschämung dachte Sandro an seinen pompösen Amtsraum im Vatikan und das mit allen Bequemlichkeiten ausgestattete Quartier.
Während Sandro das Zimmer betrachtete, hatte Ignatius ihn betrachtet.
»Bruder Carissimi«, begann Ignatius mit milder Stimme, »lass uns über deine Einstellung sprechen.«
Sandro zögerte. »Meine Einstellung - zu was?«
Ignatius ließ eine Weile verstreichen. »Zum Beispiel dazu, dass du gern Gegenfragen stellst.«
»Ehrwürdiger Pater General, wie soll ich eine Frage beantworten, wenn ich die Frage nicht verstehe?«
»Womit du soeben erneut eine Gegenfrage gestellt hast. Es scheint dir in Fleisch und Blut übergegangen zu sein, Menschen zu befragen.«
Sandro gab sich demütig. »Ich bitte um Verzeihung. Mein Amt als Visitator bringt das mit sich.«
»Dein Amt als Visitator - ja, das ist so eine Sache … Vielleicht ist das der Grund des Übels, über das ich mit dir sprechen will.«
»Des Übels?«, fragte Sandro und stellte fest, dass er schon wieder eine Frage gestellt hatte.
Ignatius antwortete erst nach einer Weile, so als habe er noch rasch ein Gebet dazwischengeschoben. »Ich bekomme die widersprüchlichsten Berichte über dich, Bruder Carissimi. Dein ehemaliger Provinzial im Hospital in Neapel lobte die Hingabe und die Demut, mit der du die Kranken und Sterbenden gepflegt hast. Und Bruder Luis de Soto war in den Jahren, in denen du ihm als Assistent gedient hast, ausgesprochen zufrieden mit dir.«
Das kann ich mir denken, dachte Sandro. Ich war ein Narr gewesen, und genauso einen hat er gewollt.
»Doch dann«, sagte Ignatius, »kam Trient. Von dem Moment an, wo der Heilige Vater dich zum Visitator ernannte, ändern sich die Meinungen über dich. Es ist gerade so, als habe dir jemand einen neuen Kopf aufgesetzt und ein neues Herz gegeben.«
Der Pater General hatte - sei es zufällig oder sei es hellsichtig - genau die richtige Beschreibung gefunden. Ein neuer Kopf und ein neues Herz. Der neue Kopf, das bedeutete ein Talent, das er bis dahin nicht an sich entdeckt hatte - Verbrechen aufzuklären. Um diese Arbeit tun zu können, musste man den Kopf freimachen von vorgefassten Meinungen, man musste von allen ausgetretenen Pfaden abweichen und einen eigenen Weg durch das Dickicht schlagen. Nur dann umging man die Fallen, die überall lauerten, nur dann erlangte man die nötige Selbstständigkeit. Sandro hatte diese Arbeit lieb gewonnen, denn sie forderte ihn heraus, ohne ihn zu überfordern, und der Erfolg bestätigte ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben sah und spürte er in seinem Tun eine Heimat.
Und das neue Herz spürte Liebe, wo in seiner Jugend nur Liebelei gewesen war, und danach, als Novize und junger Priester, Hingabe und Demut. Antonia und seine Arbeit - das waren die zwei neuen Stützpfeiler, auf die er seine Zukunft aufbauen wollte.
Ihm war natürlich klar, dass die Liebe zu Antonia, sollte sie sich erfüllen, sowie seine Vorstellungen von Selbstständigkeit mit seinem Leben als Jesuit nicht vereinbar waren. Der Gehorsam und die Einhaltung der Gelübde waren oberstes Gebot in der Societas Jesu, Eigenständigkeiten und Ausnahmen wurden
Weitere Kostenlose Bücher