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Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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senkte den Kopf für einige Sekunden, und als sie aufblickte, sah Jonathan zu seinem Entsetzen, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
    »Es geht um meinen Vater«, schluchzte sie verzweifelt. »Er ist verschwunden oder etwas Schlimmeres. Ich weiß es nicht. Ihr müsst mir helfen, ihn zu finden!«

14
    Humphrey Granville lehnte sich in seinem Stuhl zurück und leckte sich erwartungsvoll die Lippen. Der heutige Abend versprach ein unvergessliches Erlebnis zu werden. Er hatte sich große Mühe mit den Vorbereitungen gegeben und sich in sein feinstes Abendsakko gezwängt, das von unzähligen Schlachten mit vorzüglichen Mahlzeiten gezeichnet war. Er hatte einen Kamm durch seine Haare gequält und sie anschließend mit viel Gel glatt gestrichen. Anschließend hatte er seine schönsten Manschettenknöpfe angelegt, der linke hatte die Form eines Messers, der rechte die einer Gabel. Nur die Krümel in seinem Schnurrbart erinnerten noch an sein alltägliches Erscheinungsbild.
    Der große Speisesaal von Darksides exklusivstem Restaurant, »Das letzte Abendmahl«, strahlte eine einladende Behaglichkeit aus. Da es in diesem Restaurant nur fünf Tische gab, die in der Form eines Pentagramms angeordnet waren, war es unglaublich schwierig, eine Reservierung zu bekommen. Die Glücklichen, die einen Tisch reservieren konnten, behielten diese Tatsache für sich, aus Angst, dass jemand ihnen ihre Identität rauben könnte. Humphrey hatte fünflange Jahre auf der Warteliste gestanden. Er trank gerade im Hotel Savoy einen Tee, als ihn die Nachricht erreichte, dass er endlich einen Tisch bekommen hatte. Am liebsten hätte er einen Freudentanz aufgeführt. Humphrey hatte sich sofort daran gemacht, seine Rückreise nach Darkside zu organisieren.
    Er las die Speisekarte nochmals. Die Wahl fiel nicht leicht, und es war unmöglich, sich auf Anhieb zu entscheiden. Vielleicht war der gebratene Rabe die beste Wahl oder doch das berühmte Wiesel-Risotto? Gaston LaGuerre, der Küchenchef des »Abendmahl« war ein übellauniges Monstrum, dessen Ungeduld nur noch von seinem kulinarischen Perfektionismus übertroffen wurde. Es kursierten viele Legenden, die von unglücklichen Küchenhilfen berichteten, deren Fingernägel nach einem Fehler die Garnitur der Tagessuppe bildeten. Humphrey hoffte, dass Gaston an diesem Abend in Hochform sein würde.
    Obwohl es ein perfekter Abend hätte sein sollen, musste Humphrey sich eingestehen, dass er sich etwas unwohl fühlte. Die ganze Geschichte mit Nicholas ging ihm unter die Haut. Er hätte niemals auf ihn hören dürfen. Das Problem war, dass Humphrey verzweifelt um Nicholas de Quincys Anerkennung gebuhlt hatte, seit sich die Gentlemen das erste Mal im Kain-Club zusammengefunden hatten. Obwohl sie sich in denselben gehobenen Kreisen bewegten, waren die Granvilles nur Emporkömmlinge, die durch das unrühmliche Geschäft des Pfandleihens zu Geld gekommen waren. Der aristokratische de Quincy – Erbe einer angesehenen Erpresserdynastie– schaffte es nie, seine Geringschätzung gegenüber Humphrey zu verbergen. Er verhöhnte ihn ständig wegen seines Übergewichts, seiner niederen Herkunft und seiner schlechten Manieren. Humphrey war ein liebenswürdiger Mann, aber in so manch finsterem Moment hatte er sogar schon in Erwägung gezogen, Nicholas zu beseitigen.
    Nach dem Mord an James Arkel und dem Bekanntwerden der Tatsache, dass dieser ein Ripper gewesen war, versank Darkside in Anarchie. Die privaten Sicherheitsmänner von Thomas Ripper durchkämmten die Straßen und verhafteten jeden, der ihnen in die Quere kam. Die Gentlemen waren in Panik geflohen und jeder war seinen eigenen Weg gegangen. Während Humphrey sich in Lightside versteckte, war Edwin die Stufen zum »Mitternacht« hinabgestiegen. Bruder Stahl, der einzige der Gentlemen, den Humphrey mochte, und der einzige, der sich geweigert hatte, sich an der Verschwörung zu beteiligen, wurde vom Rest der Gruppe verstoßen. Humphrey hatte nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen.
    Lediglich Nicholas – Bruder Herz – war ruhig geblieben und hatte den Kontakt zu Bruder Flink aufrechterhalten. Er war es, der herausgefunden hatte, dass Fleet James’ Bruder und somit auch ein Ripper war. Und es war Nicholas, der zehn Jahre später wieder in Humphreys Leben getreten war mit der Idee für eine klassische, hinterhältige Erpressung. Ein de Quincy bat einen Granville um Hilfe! Mit stolz geschwellter Brust hatte Humphrey zugesagt. Allerdings entwickelte

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