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Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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sichdie Angelegenheit so, dass er seine Entscheidung bereits bereute, bevor Edwin ermordet wurde.
    Ihn würde nicht das gleiche Schicksal ereilen, Humphrey hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Er blickte über seine Schulter und sah erleichtert Jols riesige Silhouette, die teilnahmslos hinter ihm im Schatten stand. Jol war der teuerste Leibwächter in Darkside und dafür bekannt, dass er seine Klienten niemals zu Schaden kommen ließ. Humphrey schniefte. Dies waren gefährliche Zeiten, aber Humphrey Granville wusste, was er tat. Er würde nicht zulassen, dass jemand sein Leben zerstörte oder ihn davon abhielt, dieses Essen zu genießen.
    Als der erste Gang serviert wurde, wusste er, dass er nicht enttäuscht werden würde. Die Haifischpastete duftete köstlich und schmeckte sogar noch besser. Als er sie sich auf der Zunge zergehen ließ, entdeckte er ein scharfes Aroma, das selbst er – der größte Feinschmecker in ganz Darkside – nicht zuordnen konnte. Gaston war wahrlich ein Meister seines Fachs. Er nahm einen Schluck Wein und genoss jeden Bissen.
    Die nächsten zwei Stunden verstrichen träge in einer herrlichen Prozession der Aromen und Sinneseindrücke. Humphrey fühlte sich wie in einem Traum. Er vergaß Edwin und Jol und widmete seine ganze Aufmerksamkeit den Gerichten, die ihm dargeboten wurden. Die Kellner bewegten sich unauffällig wie Schatten und räumten die leeren Teller ab, bevor die Gäste sie überhaupt wahrnahmen. Mit der Ankunft jedes Gerichts ertönten aufgeregtes Kichern und überraschtesZungenschnalzen von den vier Tischen um Humphrey herum. Alle schwatzten unaufhörlich. Humphrey konnte nicht verstehen, warum die Leute sich den Genuss des Essens durch die Anwesenheit anderer mindern ließen: Er zog es vor, alleine zu speisen.
    Als der sechste Gang gereicht wurde, dämpfte man das Licht, damit der Höhepunkt, die flambierten Quallen, besser zur Geltung kam. Als er in die züngelnden Flammen blickte, musste Humphrey sich widerstrebend eingestehen, dass das reichhaltige Essen seinen Tribut forderte. Er fühlte sich benebelt. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, noch ein zweites Hyänensteak zu essen. Humphrey richtete sich auf und nahm einen großen Schluck Wasser. Das war lächerlich! Er genoss das Essen seines Lebens und machte beim sechsten Gang schlapp! Er nahm sein Messer in die Hand und stürzte sich mit neuem Appetit auf die Qualle.
    Ein spitzer Schrei aus der Küche holte ihn zurück auf den Boden der Tatsachen. Humphrey blickte ängstlich zu Jol. Der hünenhafte Leibwächter stapfte los, um der Sache nachzugehen, und polterte durch die Schwingtüren in die Küche. Humphreys trotzige Stimmung verebbte und das Gefühl des Unbehagens wuchs im gleichen Maße wie seine Magenverstimmung. Bei aller Sturheit musste er der Tatsache ins Auge sehen, dass Edwin in einer Gasse brutal ermordet worden war und dass man nicht wissen konnte, ob die Angelegenheit damit erledigt war. Zwar kannten sie Bruder Flink seit vielen Jahren, aber er war immer noch ein Ripperund deshalb war ihm alles zuzutrauen. Humphrey tupfte sich mit seiner Serviette das Gesicht ab. Er hatte das Gefühl, dass der Boden bebte und die Tische um ihn herum sich wie auf einem Karussell drehten.
    Jol kehrte mit unbewegter Miene aus der Küche zurück.
    »Was geht da drinnen vor sich?«, fragte Humphrey nervös.
    »Scheint so, als wäre einer der Steinadler, die sie frittieren wollten, nicht ganz so tot gewesen, wie sie dachten. Er hat einen der Köche angegriffen.«
    »Ist jetzt wieder alles in Ordnung?«
    »Denke schon. Sind beide tot.« Jol beäugte seinen Klienten kritisch. »Fühlen Sie sich wohl? Sie sehen nicht gut aus.«
    »Ja, ja, mir geht es gut. Stellen Sie nur sicher, dass mich niemand beobachtet.«
    »Wie schmeckt das Essen?«
    Humphrey warf ihm einen gereizten Blick zu.
    »Das werden Sie nie erfahren. Nun verschwinden Sie und lassen Sie mich in Frieden.«
    Als Jol sich zurückzog, ließ Humphrey den Kopf zwischen die Hände sinken. Der Leibwächter hatte recht – er fühlte sich unwohl und es wurde immer schlimmer. Es gab keinen Grund, seinen einzigen Beschützer anzuschnauzen. Der Raum drehte sich immer schneller und schneller, sodass er die Orientierung verlor. Sein Magen rebellierte, und das scharfe Aroma, das er bei der Haifischpastete herausgeschmeckt hatte, erfüllte wieder seinen Mund.
    »Jol?«, stöhnte er.
    Der Leibwächter stürzte sofort an seine

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