Der Schwarze Phoenix
Seite.
»Was ist los?«
»Ich fühle mich nicht gut«, stöhnte er abermals und hielt sich den Bauch. »Vielleicht hat mir jemand was ins Essen getan.«
»In Ordnung. Lassen Sie uns von hier verschwinden.«
Jol schlang einen Arm um den beleibten Mann, hievte ihn auf die Beine und führte ihn zu den Schwingtüren im hinteren Teil des Restaurants.
»Wohin gehen wir?«, fragte Humphrey schwach.
»Zu viele Leute vor dem Haupteingang. Wir nehmen den Lieferanteneingang.«
Der Leibwächter schleppte ihn durch die Tür in die Küche des »Abendmahl«. Der Raum glich einem Tollhaus. Köche in langen, fettigen Schürzen liefen in den schmalen Gängen umher, schrien sich an und bedrohten sich gegenseitig mit Küchenmessern. Eine Reihe von Öfen produzierte eine Hitze wie in einer Schmiede. Dampfwolken stiegen aus Töpfen auf, die auf dem Herd klapperten, und Stichflammen schossen aus schwarzen Pfannen empor. In dem Chaos schien niemand die Eindringlinge zu bemerken.
Jol schob Humphrey durch die Küche und in eine baufällige Vorratskammer an der Rückseite des Gebäudes. Sie hatte die Größe einer kleinen Scheune und beherbergte palettenweise rohe Zutaten und gefesselte wilde Tiere. Der Boden war mit Getreidekörnern und verfaultem Gemüse übersät. Nachdem Jol sich davonüberzeugt hatte, dass die Örtlichkeit sicher war, setzte er Humphrey auf einem Kartoffelsack ab.
»Sitzen bleiben. Ich gehe zurück und überprüfe etwas.«
»Gehen Sie nicht!«, flehte Humphrey, aber es war zu spät. Jol war hinausgeschlüpft und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Humphrey zitterte heftig. Die zugige Vorratskammer war schlimmer als die heiße Küche. Er musste sich definitiv irgendeine Art Fieber eingefangen haben. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht herunter.
Ein schepperndes Geräusch ertönte hinter einem Getreidehaufen.
»Hallo?«, rief Humphrey. »Wer ist da?«
Ein Krächzen ertönte. Er entspannte sich ein wenig. Es war nur einer der Vögel. Es musste eine der exotischen Spezialitäten auf der Karte sein, da er den Klang seines Schreis nicht erkannte.
Der Vogel krächzte nochmals, diesmal durchdringender als zuvor. Humphrey kam der Gedanke, dass, falls jemand hinter ihm her sein sollte, der Lärm vielleicht seine Aufmerksamkeit erregen würde.
»Ssch!«, zischte er. »Nettes Vögelchen! Sssch!«
Der Vogel krächzte abermals, so als wolle er ein Spiel spielen.
»Wenn du nicht den Schnabel hältst, fresse ich dich roh!«
Ein ohrenbetäubendes Kreischen erfüllte die Vorratskammer und ließ Humphreys Trommelfelle beinahe platzen. Er hörte Flügel schlagen und sah mitblankem Entsetzen eine Woge der Finsternis durch die Luft auf sich zurollen. Starr vor Angst konnte Humphrey kaum noch die Arme hochreißen, bevor die dunkle Woge ihn umschlang. Der Geruch von verwesendem Fleisch stieg ihm in die Nase und er spürte einen stechenden Schmerz im Gesicht. Humphrey sank auf die Knie. Blut quoll aus seiner Wange. Irgendwo inmitten der Woge kreischte die Kreatur nochmals, diesmal triumphierend.
Panisch blickte Humphrey nach oben und sah einen schwarzen Schatten in den Dachstuhl aufsteigen, bereit, ein weiteres Mal zuzustoßen. Er stolperte zur Tür und versuchte, sie zu öffnen, aber sie war verschlossen. Er rüttelte verzweifelt an der Klinke und schrie sich die Lunge aus dem Leib, aber niemand kam angerannt, um ihm zu helfen, und er war zu schwach, die Tür einzutreten. Er sank schluchzend zu Boden, schutzlos dem Albtraum ausgeliefert, der sich dort in der Finsternis verbarg. Der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, bevor die Kreatur auf ihn herabstieß, war die Frage, wo sein Leibwächter hingegangen war.
Jol hatte den Schlüssel der Vorratskammertür herumgedreht und war davonmarschiert. Er hatte nicht vor, sich das Gemetzel anzuhören. Er wollte sich nicht den Appetit verderben lassen. Er kehrte an Granvilles Tisch zurück und setzte sich auf seinen Stuhl, der unter demenormen Gewicht des Leibwächters ächzte. In einem Anfall von Kultiviertheit faltete er die Serviette auseinander und steckte sie sich in den Ausschnitt.
Ein Kellner eilte aus der Küche herbei und säuberte den Tisch.
»Hat Ihr Begleiter uns verlassen, Sir?«, fragte er höflich.
»Ich fürchte, ja«, erwiderte Jol. »Und er wird nicht zurückkehren. Wie viele Gänge kommen noch?«
»Wir haben noch sieben vor uns.«
»Gut. Wie schmeckt das Essen?«
Der Kellner lächelte.
»Haben Sie noch nie davon gehört, Sir? Man sagt, es
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