Der schwarze Prinz
Schuld.«
Hagen weinte noch für einen Moment weiter, schluchzte dann einmal tief und hob den Kopf. Die Wange unter seinem gesunden Auge war nass. »Nein, Svenya. Nicht deine. Sein Tod ist ganz allein meine Schuld. Ich habe mich meiner Wut hingegeben und die Festung ungesichert zurückgelassen. Nur deshalb konnte Laurin überhaupt eindringen und Oegis befreien. Ich ganz allein bin dafür verantwortlich. Ich habe mich von meinem Hass leiten lassen. Von meinem Zorn über Laurins Leichtsinn.«
»Hagen...«
»Nein, Svenya, mein Fluch ist so wahr wie der deine: Ich bringe jedem, den ich liebe, den Tod. Letzten Endes sogar ihm!« Er deutete mit dem kantigen Kinn auf den Leichnam seines Vaters. »Er war älter als alles andere auf dieser Welt. Älter als jeder Baum, älter als jeder Stein. Und ich habe ihm den Tod gebracht! Aber das endet jetzt und hier! Ein für alle Mal!«
So schnell, dass Svenya beinahe nicht mehr hätte reagieren können, zog Hagen seinen Dolch und stach nach seiner eigenen Kehle. Svenya gelang es gerade noch, zuzupacken. Sie erwischte die zweischneidige Klinge kurz unterhalb der Parierstange, und das magische Metall schnitt in ihre Handfläche und die Finger. Aber sie hatte mit aller Kraft zugefasst, um den Dolch abzufangen ... seine Spitze weniger als einen Zentimeter von Hagens Halsschlagader entfernt. Und trotz Hagens gewaltiger Kraft gelang es ihr, ihn zu halten. Blut floss aus ihrem Griff hervor, über ihren Arm nach unten, und sie biss die Zähne zusammen gegen den entsetzlichen Schmerz.
»Lass los, Svenya!«, flehte er von hinter ebenfalls fest zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Vergiss es!« Obwohl sich die Klinge dabei noch tiefer in ihr Fleisch drückte, zog sie an dem Dolch. Zu ihrer Verwunderung war sie tatsächlich stärker als Hagen.
Er packte mit seiner zweiten Hand zu, und der Dolch ruckte wieder in Richtung seiner Kehle. Aber auch Svenya nahm ihre zweite Hand zu Hilfe, packte ihn am Unterarm und hielt damit den Dolch auf seinem Platz. »Du irrst dich, Hagen - und ich erkenne es erst jetzt: Das, was hier heute geschehen ist, ist ebenso wenig deine Schuld wie die meine. Es ist die Schuld von Lau’Ley, Laurin und Oegis. Dass wir nicht dazu in der Lage waren, die Folgen ihrer Untaten abzuwenden, macht uns nicht zu ihren Mitschuldigen. Nicht einmal die Tatsache, dass ich Lau’Ley nicht getötet habe, als ich die Chance dazu hatte, gibt mir die Schuld an ihrem Treiben.«
»Wir hätten es verhindern können«, ächzte Hagen, mit vor Anstrengung und Verzweiflung belegter Stimme.
»Vielleicht«, räumte Svenya ein. »Aber auch das macht uns nicht schuldig an ihren Taten - egal, was man uns glauben lassen will. Selbst wenn es zehnmal unsere Pflicht sein mag und vor allem unser Begehr, uns dem Bösen entgegenzustellen, wird schuld immer der sein, der das Böse tut. Oegis hat Alberich getötet - nicht meine Barmherzigkeit Lau’Ley gegenüber und auch nicht deine Entscheidung, für den Sturm auf Aarhain die Verteidigungsreserven zu sehr auszudünnen. Ob wir richtig gehandelt oder Fehler gemacht haben, spielt keine Rolle. Oegis ist der Täter und nicht wir. Du hast deinem Vater nicht den Tod gebracht. Auf dir lastet kein Fluch!«
Die Tränen, die ihr jetzt über die Wangen liefen, entstammten weniger dem pulsend stechenden Schmerz in ihrer Hand als dem Bewusstsein, wie sehr Hagen sich für alles verantwortlich machte, und der Vorstellung, wie groß dabei sein Leid sein mochte.
»Du irrst dich, Hagen«, sagte sie noch einmal. »Du bringst nicht den Tod. Mir hast du das Leben gebracht. Und ich weiß, wie sehr du mich liebst.«
Sein Griff löste sich ein wenig, und eine Spur von Sanftheit schlich sich in sein Auge. »Mit jeder Faser meines Seins«, sagte er. »Schon immer. Doch auch dir würde ich früher oder später das Verderben bringen ... den Tod ... ganz gleich, wie sehr ich versuchen würde, das zu verhindern.«
»Nein!«, sagte Svenya. »Das wirst du nicht, denn du trägst diese Verantwortung nicht allein. Ich bin an deiner Seite, meine Liebe zu dir ist so groß wie die deine zu mir ... und gemeinsam werden wir die Zukunft formen, statt uns von der Vergangenheit formen zu lassen.«
Hagen zögerte einen Moment lang, doch dann ließ er den Dolch los, und Svenya warf ihn zu Boden. In seinen Blick war Hoffnung zurückgekehrt, ja Zuversicht... und tiefe Dankbarkeit. Er zog sie in seine Arme und küsste sie, und noch ehe sich ihre Lippen zum Ausbruch ihrer so lange
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