Der schwarze Prinz
Grund, den Hagen nicht kannte, reagierte seine Tochter in letzter Zeit seltsam, wenn Raik ins Gespräch gebracht wurde. Ihm fiel auf, dass er die beiden auch schon lange nicht mehr miteinander gesehen hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich mit möglichen Animositäten der beiden auseinanderzusetzen.
»Kennst du denn einen anderen?«, fragte er daher mit einem drohenden Unterton in der Stimme.
»Natürlich nicht, General«, beeilte Yrr sich zu sagen und senkte gehorsam den Kopf.
»Gut. Dann ist es beschlossen«, meinte Hagen. Er konnte seiner Tochter nicht böse sein, dass sie von Svenya Eigenwilligkeiten übernommen hatte, die er an der Hüterin zu schätzen und zu mögen gelernt hatte. »Begebt euch auf dem schnellsten Weg nach Rügen und beginnt mit eurer Suche bei dem Helikopter.«
»Zu Befehl, General!«, sagte Yrr, salutierte und machte auf dem Absatz kehrt, um unverzüglich mit ihren beiden besten Kriegerinnen aufzubrechen.
Hagen blickte ihnen hinterher. Sosehr er Yrr vertraute und wusste, dass sie die Beste für diese Aufgabe war, so sehr bedauerte er doch, dass seine Pflichten es ihm verboten, sich an ihrer Stelle auf die Suche nach der Hüterin zu begeben.
17
Wieder befand Svenya sich in der riesigen goldenen Halle, von der sie schon geträumt hatte, nachdem sie von der Unbekannten mit Mimung geschlagen worden war. Sie präsentierte sich nun noch größer als in Svenyas erster Ohnmacht. Die Tafeln, an denen die feiernden Gäste saßen, an denen sie speisten, tranken und auf denen sie musizierten und tanzten, reichten weiter, als ihre Augen sehen konnten. Doch anders als bei ihrem ersten Besuch hier, schien niemand von ihnen Svenya wahrzunehmen, und als sie an sich hinabblickte, erkannte sie, dass sie nahezu unsichtbar war. Ein Gespenst - wie die Bewohner der versunkenen Stadt. Sie versuchte zu sprechen, um auf sich aufmerksam zu machen ... um in Erfahrung zu bringen, wo sie hier war ... und wer all die anderen waren. Doch nicht ein Laut kam über ihre ausgetrockneten Lippen. Niemand konnte sie hören. Sie versuchte, einen der goldenen Kelche zu berühren, doch ihre Hand glitt substanzlos durch das edle Metall und den Wein darin hindurch, als bestünde sie nur aus Nebel. Sie blickte zu dem gewaltigen goldenen Thron hinüber ... und für einen Moment glaubte sie, dort eine schattenhaft durchsichtige Gestalt wahrzunehmen ... ähnlich der, der sie in Vineta im Kampf begegnet war.
»Wach auf, Schwanentochter!«, sagte da plötzlich eine Stimme, die klang, als würde sie von jenseits der goldenen Halle kommen. Eine Stimme, die ihr vertraut erschien ... die sie das erste Mal gehört hatte in der Nacht ihres siebzehnten Geburtstages.
Laurin!
Die Tafeln und Gäste um Svenya herum begannen langsam, sich in Luft aufzulösen ... so wie die Wände, die Säulen und die Decke ... und auch der Thron ... zusammen mit der nicht wirklich sichtbaren Gestalt darauf. Svenya fühlte, wie sich ihr das Herz verkrampfte und dass sie nicht von hier fortwollte. So, als gehörte sie hierhin. Als wäre es ihre Bestimmung, für immer hierzubleiben. Hier, wo man lachte und tanzte, sang und feierte.
»Wach auf!«
Svenya spürte, wie etwas Kühles ihre trockenen Lippen benetzte und in ihre Kehle hinabrann. Sie verschluckte sich und musste husten. Sofort verschwand auch noch der letzte Rest des Trugbildes, und als sie die Augen öffnete, sah sie Laurin neben ihrem Lager sitzen. Er stellte einen Becher zur Seite, nahm Svenya bei den Schultern und half ihr, sich aufzurichten, während der Husten sie schüttelte.
Sie wollte sich seinem Griff entwinden, doch dazu war sie zu schwach. Außerdem tat ihr noch alles weh. Jedes einzelne Husten ließ einen Stich in die Seite zucken, an der sie mit Mimung getroffen worden war. Ihre Hände waren verbunden und ihre Handgelenke gefesselt. Der Raum, in dem sie sich befand, war fensterlos und die schwere Holztür mit Eisen und Silber verstärkt. Überall und besonders am Türrahmen waren Runen aufgemalt oder in den Granit und ins Holz geritzt. Svenya kannte deren Zweck: Sie hielten sie davon ab, Magie zu sammeln oder sie zu benutzen. Ihre Rüstung und ihr Panzer waren hier quasi nicht existent. Das Nachthemd, das sie trug, war nicht das ihre, und bei dem Gedanken, dass vielleicht Laurin selbst derjenige war, der es ihr angezogen hatte, wurde ihr schlecht.
»Lass mich los«, sagte sie barsch, doch stattdessen klopfte er ihr auf den Rücken, um den letzten Rest des Hustens zu lösen. Dann erst
Weitere Kostenlose Bücher