Der schwarze Prinz
Verzweiflung durchflutete sie. Sie stolperte und fiel auf die Knie. Sie brauchte mehr als eine Minute, um wieder auf die Füße zu kommen - doch nur, um gleich wieder zu stolpern und erneut hinzufallen.
Schließlich verschwendete sie keine Kraft mehr damit, sich aufzurappeln, schleppte sich zunächst auf allen vieren über den Boden und letztlich sogar auf dem Bauch.
Lau’Ley hatte einen Weg nach draußen und die Witterung der Hüterin wiedergefunden. So schnell und so unauffällig sie konnte, war sie ihr auf verschlungenen Pfaden durch die große Höhle vor Aarhain gefolgt und war erstaunt darüber, wie weit Svenya es trotz des Giftes in ihrem Kreislauf geschafft hatte. Sie hatte sogar die Höhle hinter sich gelassen, und Lau’Ley fand sie in einem der Seitentunnel. Mit dem Gesicht nach unten lag sie in einem kleinen Tropfwassertümpel und regte sich nicht mehr.
Verflucht, ich komme zu spät! Lau’Ley ballte die Fäuste vor Wut. Aber Hauptsache, es ist endlich vorüber.
Sie ging zu dem leblosen Körper hinüber, drehte ihn mit dem Fuß herum und kniete daneben nieder, um gegen jede Hoffnung den Puls zu fühlen. Da war keiner mehr. Svenyas Augen starrten leblos ins Leere. Ihre Haut war so weiß und blass wie Alabaster. Lau’Ley konnte die Adern dahinter sehen. Die Lippen waren trotz des Wassers, in dem sie gelegen hatte, blau, trocken und rissig. Das sichere Zeichen dafür, dass das Gift gewirkt hatte.
Lau’Leys Wut verrauchte, und sie lächelte. Was tue ich jetzt mit dir?
Sie hatte mehrere Möglichkeiten: Sie konnte die Leiche der Hüterin hier liegen lassen und darauf hoffen, dass sie trotz ihrer Unsichtbarkeit durch die Wölfe der Vargulfra gefunden wurde. Sie konnte sie aber auch irgendwo hinbringen, wo man sie niemals finden würde. Beides hatte Vor- und Nachteile. Wenn sie zuließ, dass Svenya entdeckt wurde, würde Laurin schnell von ihrem Tod erfahren und entsprechend auch schnell über seine seltsame Faszination für sie hinwegkommen. Aber dann bestand die Gefahr, dass er herausfand, dass sie ihr Ende nicht durch ihre Verletzungen, sondern durch Lau’Leys Gift gefunden hatte. Wenn sie sie jedoch versteckte, würde es nie einen Beweis für ihren Tod geben, und Laurin würde niemals aufhören, nach ihr zu suchen - und damit wäre nichts gewonnen.
Die beste Lösung war, sie von hier fortzubringen und irgendwo zu verstecken, wo sie erst nach einigen Tagen gefunden werden würde. Bis dahin wäre das Gift in ihrer Leiche vollständig abgebaut und Laurin hätte keine Beweise dafür, dass sie nicht doch ihren Verletzungen und den Anstrengungen der Flucht erlegen war.
Sie nahm den Körper der Hüterin in ihre Arme und trug ihn in das Dunkel des Tunnellabyrinths.
28
Wargo war fassungslos und wollte seinen Augen nicht trauen. Wie auch? Nach allem, was er wusste, war die Frau auf dem Rücken der Nadhr-Königin Nagarr’Ta’Arssa tot. Seit über siebzig Jahren! Doch sie sah noch genau so aus wie damals: hochgewachsen, schlank und doch athletisch - und vor allem atemberaubend schön. Ihr wallend schwarzes Haar hatte drei weiße Strähnen am Scheitel und den beiden Schläfen, und ihre Augen schimmerten bernsteinfarben wie die Wargos.
»I-ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Nazis dich an die Wand gestellt und erschossen haben«, sagte er. Noch heute sah er jede Nacht im Traum die Bilder des Erschießungskommandos. Die Uniformen mit den Hakenkreuzen. Die Karabiner, den Schießbefehl - und wie ihr Körper von den Treffern gegen die blutige Wand dahinter geschleudert wurde.
»Du warst dort in jener Nacht?« Sie klang überrascht, aber ihr feinscharf geschnittenes Gesicht behielt die abweisend harte Miene bei.
»Gegen Laurins Befehl«, bestätigte er. »Aber ich kam zu spät. Ich konnte dich nicht mehr retten. Es waren zu viele, und sie hatten Silberkugeln.« Tausende Male hatte er bereut, nicht mit ihr in den Tod gegangen zu sein.
»Bist du deswegen zum Verräter an unserem Volk geworden?«
»Laurin hat zugelassen, dass die Schweine meine Frau hinrichten, ohne auch nur einen Finger zu deiner Rettung zu rühren!«, begehrte er auf. »Er hatte meine Loyalität nicht länger verdient.«
»Dafür hast du Jahrhunderte der Treue und der Kameradschaft über den Haufen geworfen und bist, ohne auch nur zu zögern, mit wehenden Fahnen zum Feind übergelaufen?«
»Was ist damals wirklich passiert, Lykia?« Ihren Namen nach all der Zeit wieder auszusprechen, ließ seinen Puls zwei Schläge lang
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