Der schwarze Prinz
vertraute darauf, dass er ihr keine Informationen vorenthielt, die ihr gefährlich werden könnten. Das war die Eigenschaft, die Svenya an sich selbst am paradoxesten empfand: Entweder sie vertraute gar nicht oder ganz. Trotz allem, was damit verbunden war, hatte der König der Lichtelben ihr ein Zuhause gegeben - den ersten Ort in ihrem Leben, an dem sie sich wohl und geborgen fühlte. Also hatte sie sich dafür entschieden, ihm zu vertrauen ... und alles, was dieses Vertrauen irritieren oder erschüttern konnte, zur Seite zu schieben. Nur so konnte sie damit umgehen, niemals fragen zu dürfen, woher sie kam oder wer sie in Wirklichkeit war, ohne verrückt zu werden.
Das Leben ist zumeist ein schönes, wenn man sich nicht zu sehr den Kopf zerbricht ... vor allem über Dinge, die ohnehin nicht zu ändern sind.
»Gut«, sagte sie. »Dann holen wir jetzt, was wir an Waffen noch brauchen, und machen uns auf den Weg.«
34
Dresden
Svenya und Hagen hatten aus Alberichs geheimer Waffenkammer zwei Ersatzschwerter für Svenya, einen Köcher mit kleinen Wurfspeeren, Bögen und Pfeile und eine gewaltige Doppelblattaxt für Hagen geholt. Jetzt verließen sie, von Menschenaugen unerkannt, die Festung durch einen geheimen Ausgang unter der Augustusbrücke, direkt am Ufer der Elbe, und Hagen löste einen kleinen, ledernen Beutel von seinem Gürtel. Svenya schaute ihm neugierig dabei zu, wie er aus dem Beutel einen gerade einmal daumennagelgroßen goldenen Würfel nahm, der statt mit Runen mit Keilschrift verziert war. Zu Svenyas Überraschung kamen ihr auch diese Zeichen seltsam vertraut vor. Hagen fuhr die winzigen Einkerbungen mit der Spitze seines Zeigefingernagels nach und murmelte:
»Zibin! Su lag, su silig
Ku a bala-se-aka ki nam
Un-ed dalba giri
Dul erim meru.«
Knospe! Wachse an Größe, wachse an Kraft,
Schneide durch die Wasser und trage mich zu meinem Ziel,
Unsichtbar auf meinem Pfad von hier bis dort,
Schütze mich vor Feind und Sturm.
Hagen ließ den Würfel los, und Svenya sah, wie er in der Luft schwebte, von innen heraus plötzlich zu glühen und sich um seine eigene Achse zu drehen begann. Zunächst war das Rotieren langsam, doch allmählich wurde es schneller, so wie auch das Glühen heller wurde ... bis es schließlich zu einem Strahlen geworden war, und der Würfel durch das hohe Tempo seines Wirbelns zunehmend wie eine Kugel erschien. Eine Kugel, die jetzt größer wurde und sich zum Ufer hin, zur Grenze zwischen Land und Wasser bewegte.
Svenya spürte, wie die Magie, die sie umgab, von dem Objekt angezogen wurde wie von einem gewaltigen Magneten ... wie sie in den Würfel hineinströmte und ihn mehr und mehr wachsen ließ, bis er mit einem Mal begann, seine Form zu ändern, und aufhörte, sich zu drehen.
Zunächst konnte Svenya sich keinen Reim machen auf das, was sie da sah. Da waren Streben, Stangen, Rohre, Seile. Alles schimmerte golden und war im ständigen Wandel begriffen ... und im Wachsen. Das Objekt war inzwischen so groß wie ein Mittelklassewagen und nahm mehr und mehr eine längliche, gestreckte Form an.
Schließlich, als es in etwa so groß war wie ein LKW mit Anhänger und immer noch weiter wuchs, erkannte Svenya, was zu werden das Objekt im Begriff war.
»Ein Schiff«, rief sie. »Ist-ist-ist das etwa...?« Obwohl sie in den Monaten, die sie nun schon bei den Elben lebte, so einiges gesehen hatte, wollte ein Teil von ihr nicht recht glauben, was sich da gerade vor ihren Augen abspielte.
Hagen nickte. » Skidhbladhnir. «
Svenya stieß einen Pfiff aus. »Das goldene Schiff Freyrs?« Raegnir hatte ihr im Unterricht zur Geschichte der Neun Welten davon erzählt. Der von Odin adoptierte Feuer-Trickster Loki hatte wieder einmal einen seiner Streiche gespielt, indem er Sif, der Gattin seines Adoptivbruders Thor, im Schlaf eine Locke abschnitt. Thor erwischte ihn und drohte ihm an, ihm sämtliche Knochen im Leib zu brechen für diese Schmach. Um dem fürchterlichen Zorn des Donnergottes zu entgehen, versprach Loki Wiedergutmachung und reiche Geschenke an die Götter. Er zog zu den dunkelelbischen Söhnen Ivaldis, die für ihre hohe Schmiedekunst berühmt waren, und sie schmiedeten ihm neues goldenes Haar für Sif, das wachsen konnte, den Speer Gungnir und ebenjenes Schiff, das Svenya gerade vor ihren erstaunten Augen Gestalt annehmen sah: Skidhbladhnir. Den Speer schenkte Thor seinem Vater und das Schiff seinem Freund, dem Vanir Freyr.
»Woher hast du es?«, fragte
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