Der schwarze Prinz
Sachsen. Nördlich von ihnen, im heutigen Dänemark, die Angeln und die Teutonen. Östlich davon, im Süden des heutigen Schwedens, die Suionen, die Fenni und die Balten an den Küsten Finnlands und des Baltikums, und links davon entlang des Nordens Polens und Deutschlands die Gothen, Burgunden, Rugii und Suebi - die wiederum Nachbarn waren der Sachsen, womit sich der Kreis um die Ostsee herum schließt.
Diese Völker, deren Grenzen verwischt waren, standen über das Meer hinweg in regem Handel und Kontakt und damit sehr viel enger in Verbindung miteinander als mit den Ländern um sie herum. Sie teilten eine Kultur, beteten zu den gleichen Göttern, sprachen sogar weitestgehend dieselbe Sprache. Über Jahrhunderte hinweg und länger. Du musst dir vorstellen, dass selbst noch in der Zeit, in der das Nibelungenlied entstand, weite Teile des heutigen Nordens von Polen und Deutschland zu Schweden und Dänemark gehörten.«
Svenya stieß einen missmutigen Laut aus. »Könnten wir bitte endlich zum Punkt kommen?«
Hagen konterte ihren Ton mit einem ungehaltenen Knurren. »Es ist das erste Mal, das ich dir von mir erzähle, und mir ist wichtig, dass du in deinem Kopf die Fakten von später verfälschenden Märchen trennst.«
»Okay, okay«, sagte Svenya. »Memo an mich selbst: Nibelungenlied und Rhein vergessen. Ostsee als Zentrum einer miteinander verschmolzenen Kultur der umliegenden Völker betrachten. Kann weitergehen.«
Hagens Gesicht wurde noch finsterer, und er wandte sich ab, um am Drachenkopf vorbei auf den unter ihnen vorüberjagenden Fluss zu schauen.
Svenya merkte, dass sie ihn verletzt hatte und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Zwar war es beruhigend, dass seine Gefühle für sie offenbar so stark waren, ihr damit erst die Macht zu verleihen, ihn überhaupt treffen und gar verletzen zu können, aber das machte es weder schön noch erstrebenswert.
Sie trat an seine Seite und legte die Hand an seinen Oberarm.
»Entschuldige meine Flapsigkeit. Aber du hast eben geklungen wie ein Lehrer, und wir beide wissen doch, wie wenig ich mich als Schülerin eigne ... zumindest in Dingen wie Erdkunde.«
»Ich wollte nur...«
»Ich weiß - und es tut mir leid, dass ich so reagiert habe. Ehrlich.«
Er drehte sich zu ihr herum. »Wirklich?«
»Absolut.«
Ein schelmisches Grinsen flog auf seine Lippen. »Das ist gut. Denn ich habe gerade entschieden, dass es mehr Sinn macht, wenn ich mit der Geschichte am Anfang beginne. Also sehr, sehr viel früher.«
Svenya machte einen Schritt zurück und legte den Kopf schräg. »Jetzt verarschst du mich aber, oder?«
»Nein«, sagte er. »Im Ernst: Im Grunde genommen beginnt die Geschichte von Sigurd und mir gar nicht in Midgard und auch nicht in Alfheim, Schwarzalfheim oder Asgard ... sondern noch vor der Entstehung der Neun Welten.«
Svenya sah, wie sein gesundes Auge in die Ferne blickte, und entdeckte darin jenseits der Finsternis und des Schmerzes eine Sehnsucht, die so tief war, dass allein Zeugin dieses Blickes zu werden ihr das Herz zuschnürte. Sie lehnte sich an seine Schulter - mit sich selbst nicht im Klaren darüber, ob sie seine Sehnsucht mildern wollte oder überhaupt konnte oder ihm nur Trost spenden ... Wärme und Nähe.
»Am Anfang gab es nur Muspelheim, das Reich des Feuers, und Niflheim, die Welt des Nebels und des ewigen Eises ... und dort, wo die beiden einander berührten, die uranfängliche Leere Ginnungagap - ein Chaos an rauer, wilder Magie. Herr über Muspelheim war Surtr, Titan des Feuers, und über Niflheim herrschte mein Vater.«
Unwillkürlich stieß Svenya einen Pfiff aus. »Dann ist es also keine Übertreibung, dass er älter ist als selbst die Götter?«
»Nein, ist es nicht«, sagte Hagen sachlich. »Mithilfe der Magie von Ginnungagap schuf mein Vater zunächst die Vanir - mächtige, friedfertige Wesen von großer Weisheit und Kreativität - und gab ihnen einen Teil seines Reiches zur Heimat, den er Vanaheim nannte. Surtr hingegen erschuf die Jötunn, eine Rasse von gewaltigen und mächtigen Riesen - nicht zu vergleichen oder zu verwechseln mit denen, die wir heute als Jötunn kennen. Sie konnten nicht lange existieren in den heißen Regionen Muspelheims, also schenkte mein Vater ihnen einen weiteren Teil seines Reichs. Sie nannten es Jötunheim, und Surtr erschuf sich neue Gefährten: Drachen und Feuergeister, die der Hitze ihrer Heimat standhalten konnten.
Aber auch ohne das Zutun meines Vaters und Surtrs entstanden im
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