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Der schwarze Regen

Der schwarze Regen

Titel: Der schwarze Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flavio Soriga
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riesigen Augen, langem dünnem Haar, eine schöne zwanzig- oder hundertjährige Dame, erhob sich vom Bett öffnete das Fenster, setzte sich, die Beine nach außen, zum Hof, zum Himmel, von dem endlich kein Regen mehr fiel, sternenglänzend, wie leer.
    Sie sah Crissanti an, der zu schlafen schien, aber in Wirklichkeit kämpfte der Maresciallo auf der Grenze zwischen Gedanken und Träumen, verdammter Kaffee, die Knochen taten ihm weh, aber er schaffte es nicht, sich von allem zu befreien, das Dunkel der Bewusstlosigkeit wollte ihn nicht verschlucken, verdammter Kaffee, er wurde die Gedanken des Tages nicht los, die Hexe sah ihn an und lächelte, Den toten Hunden nützt die Wahrheit nichts, flüsterte sie, Und es passt nicht, es stimmt nicht, Signor Maresciallo, so geht es nicht, der Böse und der Schuldige, der Mann hörte nicht auf, sich hin und her zu werfen, sich von einer Seite auf die andere zu wälzen, er rieb die geschlossene Faust am Laken, von seinen Lippen kam ein Stöhnen, ein geflüstertes Nein, vielleicht träumte er endlich oder es war noch immer die Unruhe des Halbschlafs.
    Die Frau drehte sich um und starrte auf die Straße die Häuser die Gärten, beugte sich vor, schwang sich hinaus und war im Nu in der Luft, Crissanti glaubte sie zu sehen, ganz weiß und hoch oben, wie sie mit lächelndem Gesicht zu den Feldern und den Gewächshäusern flog, zum Fluss, den die Launen des Staudamms ausgetrocknet hatten, zu den Fischen, die in den Pfützen im Sterben lagen, den verschwundenen Aalen, dem ausgetrockneten Teich, den durch die gefräßige Chemie vergifteten Böden, Crissanti sah alles, die Hexe mit ihren breiten Beinen über dem Asphaltband, die glänzenden Wagen, die Kinder, die aus der vornehmen und reichen Stadt zurückkehrten, in der auch um diese Zeit noch geschäftiges Treiben herrschte, er sah das weiße Gemeindehaus unter dem Bauch der Hexe und dort gegenüber den Hafen, zwei Fischer mit stachligen Bärten, sonnenverbrannten Lippen, vom Wein aufgedunsenen Bäuchen, drei Huren aus dem armen Afrika, vier ausgemergelte Kinder und den Schorf auf ihren Armen und zwischen ihren Zehen, und höher hinauf auf die Türme, um finster das Meer und die Mauren zu betrachten und auch das Castello, die so überaus vornehmen Palais verkrustet vom Salz, von der Zeit und von der Abwesenheit der Eigentümer, verloren in den Villen an der Küste, und dann flog die Hexe weiter zu der weißen reiz- und freudlosen Festung, erfüllt von Klagen und Gitterstäben, Gewehren und Hass, das Gefängnis der Besiegten, wo die Bösen sich abplagen, wo die Teufel, die nichts mehr zu erwarten haben, die Mörder und die Räuber, die Betrüger und die Herumhurer und die Glücklosen, die Verdammten vor Kälte und Schmerz sterben, die Hexe fliegt in die Zelle von Efisietto und küsst seine schmutzigen Füße, singt ihm den Kinderreim, Ommini mau as’a morri impiccau, böser Mann, hängen wirst du, bläst ihm den Hauch schmerzlicher Erinnerungen und Beschuldigungen ins Ohr, Crissanti ist sich in seinem Halbschlaf sicher, sie zu sehen, mit ihrem Gesicht weiß wie Mehl den endlos langen Fingernägeln, wie sie Efisietto auf die Stirn küsst und zu ihm sagt, Hast du gesehen? hast du gesehen, böser Mann, der du dich betrinkst und fluchst?, aber Efisietto schläft und hört sie nicht und wirft sich hin und her wegen der Kälte und Feuchtigkeit und winselt, dass er es nicht war, dass er es nicht war, dass der geschwänzte Teufel ihn dorthin geschickt hat, er krümmt sich und erbricht schaumiges rotgefärbtes Bier, Bier und Blut und Entschuldigungen und Worte, die Crissanti nicht hört oder nicht versteht, letztlich sinnlose Worte, Worte eines Häftlings, der einen Frieden sucht, den er nicht verdient, Worte übertönt vom Lachen der Hexe, einem hohen und schrillen Lachen, ohrenbetäubend, unerträglich, ein geschrienes Lachen, das Crissanti aufweckt, das ihn wirklich aufweckt, ihn sich im Bett aufsetzen lässt, den Rücken am Kopfende, die Hände zitternd, das Unterhemd schweißnass, schnell atmend, Was für ein Traum, denkt er, Die Hexe und das weiße Gefängnis, verdammter Kaffee, verdammter. Und erneut sucht er den Schlaf, der schließlich kommt nach einer halben Stunde wiederum verworrener Gedanken, Details, die sich verfolgen, verschwinden, Beweisführungen aus Krimis, Sätze gelesen auf irgendeiner fernen Seite, Etwas stimmt nicht, bei Gott! Etwas stimmt nicht! Jeder Hinweis kann der richtige sein, es muss alles zusammenstimmen! Sätze,

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