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Der schwarze Regen

Der schwarze Regen

Titel: Der schwarze Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flavio Soriga
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ausgingen für die Bösen.
    Ich halte es nicht mehr aus, sagte sich der Maresciallo nach einer halben Seite, schnaubte, schleuderte das Buch wütend gegen die Tür, stand auf, ging zu dem kleinen Regal über dem Kühlschrank, stöberte zwischen Melonis Comics, fand den alten Band mit dem weißen Umschlag und den losen Seiten, dessen Bindung kaum noch hielt.
    Sein sizilianischer Schriftsteller, voller Skepsis und schreckliche Szenen beschreibend, verzweifelt und selbstgefällig, aber niemals dumm, altmodische Krimis, ohne geniale Lösung auf der letzten Seite, sein sizilianischer Schriftsteller, Meister eher der Fragen als der Antworten, Balladen von Menschen, die beunruhigt sind, stumm leiden, sich fehl am Platz fühlen und sich deswegen nicht schämen, Fragen und Wut und wenige Antworten und kein glückliches Ende, nur weil der Leser es so will, Tote, die ihrem Schicksal nicht entkommen, und Lebende mit schlimmen Krebsgeschwüren und unterdrückte Grimassen und Diener eines verräterischen Staates und ausgelassene Tänze des letzten Tages und vieles mehr.
    Er schlug den alten Roman auf, machte es sich wieder auf seinem Stuhl bequem, es geschah nie etwas in Nuraiò, in Kürze würde der Gefreite mit dem Mittagessen zurückkommen, seine Pasta essen und die Hälfte von Crissantis Portion, würde eine Camel anzünden und dem Maresciallo eine anbieten, die der ablehnen würde.
     
    Langweiliger Vormittag, draußen regnete es heftig und es war wie Nebel in den Straßen, man bekam keine Lust, vor die Tür zu gehen, sich die Beine zu vertreten, den Jeep zu nehmen, ein bisschen aufs Land zu fahren.
    Es geschah nie etwas in Nuraiò, Crissanti kehrte zu seinem Buch zurück.
     
    Der Gute würde vor der letzten Zeile sterben, der Böse würde weiter morden, seine Zementgeschäfte und Missbräuche fortsetzen, aber den Leser interessierte das nicht, Martino Crissanti interessierte das nicht, Weil die guten Geschichten auch so enden können, mit einer ungerechten Kugel im Rücken des Helden, dachte der Maresciallo, Weil es in den guten Büchern vorkommt, dass die Dinge nicht gut ausgehen und der Tod kein Pfand zahlt.
     
    Er ließ sich von der Geschichte entführen, dachte an nichts mehr, draußen regnete es, es war Vormittag, aber es schien, als sei bereits Abend, es geschah nie etwas in Nuraiò.

3
    Es regnete in Strömen, es regnete seit dem Vorabend, Nicola Rau hatte schlecht geschlafen – der Regen schlug gegen die Fensterscheibe-, um Viertel vor sechs stand er auf, vorsichtig, ganz vorsichtig, um die Frau nicht zu wecken, setzte die Füße auf die eiskalten Fliesen, trottete gähnend und hungrig zur Küche und zum Kaffee, stellte den Kaffeekocher aufs Feuer, setzte sich auf den intarsiengeschmückten Holzstuhl, die Augen auf den tiefdunklen Himmel, den Garten, die nasse Straße gerichtet. Verdammter Regen, flüsterte er, goss den Kaffee in die kleine Tasse, nahm einen Zwieback und setzte sich wieder, trank die heiße Flüssigkeit und betrachtete seinen Penis, der die Seide des Pyjamas spannte. Guten Tag, sagte er zu seiner schlechten Laune, zum grauen Dienstag, der vor ihm lag, zum Fettring seines Bauchs, zu dieser sinnlosen Erektion.
     
    Es war Dienstag und er musste sich rasieren, ein sauberes Hemd suchen, es regnete und er musste in die Stadt fahren, in sein Büro, zu seinem Schreibtisch, es regnete und es war kalt und er musste sich warm anziehen, einen Pullover unter der Jacke tragen, die Frau würde bald aufwachen, sie würde mit ihm im Bad sein, verschlafen freundlich sanft, wie sie morgens immer war, sie würde ihn fragen, Gut aufgewacht?, Geht so, würde Nicola Rau antworten, Schlecht geschlafen und nicht besonders gut aufgewacht, so lala.
    Es war Dienstag und er musste Überstunden machen, vielleicht würde er sogar bis spät in die Nacht im Büro bleiben, er könnte irgendeine Geschichte für die Frau erfinden, ein Abendessen mit den Kollegen, ein Film mit seinem ledigen Freund, irgendeine Geschichte, um frei zu sein und zu Marta nach Nuraiò fahren, ihren Hals küssen, ihr Parfum riechen, sie bitten zu können, es noch einmal zu versuchen, obwohl er bereits wusste, dass es unmöglich war, dass es Zeit war, Schluss zu machen, zu vergessen, sich zu vergessen.
     
    Schon auf?
    Die Stimme seiner Frau ließ ihn zu dieser Stunde des Morgens immer erschauern, entspannt ruhig wie Wolle auf der Haut, wie schaffte sie das nur, sich so gut zu fühlen, wenn sie die Augen öffnete? Bei einem so einladenden Himmel, teer- und

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