Der schwarze Schleier
Slinkton damit den Schädel spalten würde. Deswegen streckte ich meine Hand aus, um ihn zurückzuhalten. Er schwankte zum Sofa zurück und saß dann keuchend, zitternd und rotäugig in seinem zerlumpten Morgenmantel da und schaute uns beide an. Ich bemerkte, dass außer Brandy nichts zu trinken auf dem Tisch stand und nichts zu essen außer Salzheringen und einem heißen, widerlichen, sehr stark gepfefferten Stew.
»Jedenfalls, Mr. Sampson«, sagte Slinkton, der mir zum letzten Mal den Anblick seines glatten Kieswegs bot, »danke ich Ihnen sehr dafür, dass Sie eingeschritten sind und mich vor der Gewalttätigkeit dieses Unglückseligen geschützt haben. Wie immer Sie auch hergekommen sind, Mr. Sampson, oder mit welchem Motiv Sie auch gekommen sind, zumindest danke ich Ihnen
dafür
.«
»Mach den Brandy warm«, murmelte Beckwith.
Ohne seinem Wunsch zu entsprechen und ihm zu erklären, warum ich hergekommen war, fragte ich leise: »Wie geht es Ihrer Nichte, Mr. Slinkton?«
Er schaute mich durchdringend an, und ich schaute ihn durchdringend an.
»Es tut mir leid, sagen zu müssen, Mr. Sampson, dass sich meine Nichte mir, ihrem besten Freund, gegenüber als verräterisch und undankbar erwiesen hat. Sie hat mich ohne Vorankündigung oder ein Wort der Erklärung verlassen. Sie wurde zweifelsfrei von irgendeinem hinterlistigen Schurken in die Irre geführt. Vielleicht haben Sie davon gehört?«
»Ja, ich habe davon gehört, dass sie von einem hinterlistigen Schurken in die Irre geführt wurde. Ich habe sogar Beweise dafür.«
»Sind Sie da sicher?«, fragte er.
»Sehr sicher.«
»Mach den Brandy warm«, murmelte Beckwith. »Gesellschaft zum Frühstück, Julius Caesar. Versieh dein übliches Amt – gib mir mein übliches Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Mach den Brandy warm!«
Slinktons Augen wanderten von ihm zu mir, und nach einem kurzen Augenblick des Überlegens sagte er: »Mr. Sampson, Sie sind ein Mann von Welt, und das bin ich auch. Ich werde ganz offen und ehrlich zu Ihnen sprechen.«
»O nein, das werden Sie nicht«, erwiderte ich und schüttelte den Kopf.
»Ich sage Ihnen, Sir, ich werde ganz offen und ehrlich zu Ihnen sprechen.«
»Und ich sage Ihnen, dass Sie das nicht tun werden«, antwortete ich. »Ich weiß alles über Sie. Sie wollen offen und ehrlich mit irgendjemandem sprechen? Unsinn! Unsinn!«
»Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Mr. Sampson«, fuhr er beinahe gefasst fort, »dass ich Ihre Absichten verstehe. Sie wollen Ihre Gelder sparen und sich Ihrer Verantwortung entziehen; das sind alte Schliche von solchen Kontorherren wie Ihnen. Aber das werden Sie nicht tun, Sir; es wird Ihnen nicht gelingen. Sie haben es mit keinem leichten Gegner zu tun, wenn Sie sich mit mir anlegen. Wir werden dann genau untersuchen müssen, wann und wie sich Mr. Beckwith seine gegenwärtigen Angewohnheiten zugelegt hat. Damit will ich dieses armselige Geschöpf und seine unzusammenhängenden Äußerungen nicht weiter erwähnen, und ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und beim nächsten Mal mehr Glück.«
Während er das gesagt hatte, hatte Beckwith ein Halbliterglas mit Brandy gefüllt. In diesem Augenblick schleuderte er Slinkton den Brandy ins Gesicht und warf das Glasnoch hinterher. Slinkton hob, halb vom Schnaps geblendet, die Hände zur Abwehr, und das Glas zerschnitt ihm die Stirn. Kaum klirrten die Scherben, da trat eine vierte Person in den Raum, schloss die Tür und blieb in der Nähe stehen; es war ein sehr ruhiger, aber sehr sportlich aussehender Mann mit eisengrauem Haar, der leicht hinkte.
Slinkton zog sein Taschentuch hervor, stillte den Schmerz in seinen brennenden Augen und tupfte sich das Blut von der Stirn. Er ließ sich reichlich Zeit damit, und ich sah, dass, während er so damit beschäftigt war, eine ungeheure Veränderung über ihn kam, hervorgerufen durch die Veränderung in Beckwith – der aufgehört hatte, zu keuchen und zu zittern, nun aufrecht dasaß und ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. Nie in meinem Leben habe ich ein Gesicht gesehen, in dem sich Abscheu und Entschlossenheit so kraftvoll spiegelten wie damals in Beckwiths Zügen.
»Sieh mich an, du Schuft«, sagte Beckwith, »und sieh mich, wie ich wirklich bin. Ich habe diese Räume angemietet, um dir eine Falle zu stellen. Ich bin als Säufer hierhergekommen, um der Köder in dieser Falle zu sein. Du bist hineingetappt, und du wirst sie nicht mehr lebend verlassen. An dem Morgen, als du zum letzten Mal in Mr. Sampsons
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