Der schwarze Schleier
werde schon bald nach Ihnen dort eintreffen.«
Ich wusste das so gut wie er. Aber ich sagte es ihm nicht. Genauso wenig, wie ich ihm erzählte, auf welcher Verteidigungswaffe die rechte Hand in meiner Tasche ruhte, während ich neben ihm herging. Genauso wenig, wie ich ihm erzählte, warum ich bei Einbruch der Nacht nicht auf der Seite neben ihm ging, die zum Meer hin lag.
Wir verließen den Strand, und unsere Wege trennten sich. Wir wünschten einander eine gute Nacht und hatten uns schon verabschiedet, als er sich noch einmal umdrehte und sagte: »Mr. Sampson. Wenn ich Ihnen eine Frage stellen dürfte? Der arme Meltham, von dem wir seinerzeit sprachen, ist der – bereits tot?«
»Nicht, als ich das letzte Mal von ihm hörte; aber zu sehr gebrochen, dass er noch lange leben wird, und hoffnungslos verloren für seinen alten Beruf.«
»O je, o je, o je!«, sagte er voller Gefühl. »Traurig, traurig, traurig! Die Welt ist ein Grab!« Und dann ging er seines Weges.
An ihm lag es gewiss nicht, wenn die Welt kein Grabwar; aber ich rief ihm diese Beobachtung nicht nach, genauso wenig, wie ich die anderen gerade aufgelisteten Beobachtungen erwähnte. Er ging seines Weges, und ich ging in aller Eile meines Weges. Das alles geschah, wie ich bereits sagte, entweder Ende September oder Anfang Oktober. Das nächste und letzte Mal sah ich ihn spät im November.
V.
Ich hatte eine ganz besondere Frühstücksverabredung im Temple. Es war ein bitter kalter Morgen mit Nordostwinden, und auf den Straßen lagen knöcheltief Graupeln und Schneematsch. Ich konnte keine Droschke bekommen und war schon bald nass bis zu den Knien; aber ich musste diese Verabredung einhalten, und wenn ich bis zum Hals durch diese Unbill hätte waten müssen.
Die Verabredung führte mich in einige Räume im Temple. Sie befanden sich im obersten Stockwerk eines einsamen Eckhauses mit Blick auf den Fluss. Auf der äußeren Tür war der Name Mr. Alfred Beckwith aufgemalt. Auf der Tür gegenüber auf dem gleichen Treppenabsatz stand der Name Mr. Julius Slinkton. Die Türen beider Wohnungen standen offen, sodass alles, was man in der einen sprach, in der anderen zu hören war.
Ich war noch niemals in diesen Räumlichkeiten gewesen. Sie waren elend, stickig, ungesund und bedrückend; das Mobiliar, ursprünglich gut und noch nicht alt, war abgenutzt und schmutzig, es herrschte große Unordnung und roch stark und durchdringend nach Opium, Brandy und Tabak, der Feuerrost und die Schüreisen waren über und über mit unansehnlichen Rostflecken übersät, und aufeinem Sofa beim Kamin in dem Zimmer, wo man das Frühstück zubereitet hatte, lag der Gastgeber, Mr. Beckwith, ein Mann, der alle Merkmale des schlimmsten Säufers zeigte, weit fortgeschritten auf seinem unrühmlichen Weg zum Tod.
»Slinkton ist noch nicht da«, sagte dieses Wesen und rappelte sich mühselig hoch, als ich hereinkam. »Ich rufe ihn. Hallo! Julius Caesar! Komm und trink mit!« Während er das mit heiserer Stimme hervorbrüllte, schlug er wie verrückt das Schüreisen und die Schaufel gegeneinander, als wäre dies die übliche Art, seinen Kompagnon zu sich zu rufen.
Durch das Getöse hindurch war vom anderen Ende des Treppenabsatzes die Stimme von Mr. Slinkton zu hören, und dann trat er ein. Er hatte das Vergnügen, mich dort zu erblicken, nicht vorhergeahnt. Ich habe schon einige listige Männer unerwartet ins Stocken geraten sehen, aber noch nie habe ich einen Mann so bestürzt gesehen wie ihn, als seine Augen auf mich fielen.
»Julius Caesar«, rief Beckwith, der zwischen uns getaumelt kam. »Misser Sampson! Misser Sampson, Julius Caesar! Julius, Misser Sampson, ist mein Seelenfreund. Julius versorgt mich morgens, mittags und abends mit Schnaps. Julius ist ein echter Wohltäter. Julius hat allen Tee und Kaffee aus dem Fenster geworfen, als ich noch welchen hatte. Julius kippt alle meine Wasserkrüge aus und füllt sie mit Schnaps. Julius zieht mich auf wie eine Uhr und hält mich am Ticken. Mach den Brandy warm, Julius!«
In der Asche im Kamin stand ein rostiger und mit einer dicken Staubschicht überzogener Topf – und Beckwith, der zwischen uns hin und her torkelte und taumelte, als wollte er sich kopfüber ins Feuer stürzen, zog den Topf heraus und versuchte, ihn Slinkton in die Hand zu drücken.»Mach den Brandy warm, Julius Caesar! Komm! Versieh dein übliches Amt! Mach den Brandy warm!«
Dabei fuchtelte er so wild mit dem Topf herum, dass ich schon erwartete, dass er
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