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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Hawkyard keinen Penny. Als ich mich so weit durchgekämpft hatte, arbeitete ich noch härter, immer in der Hoffnung, auf einem College zugelassen zu werden und auch dort ein Stipendium zu bekommen. Meine Gesundheit war nie sonderlich robust (irgendein Dunst aus dem Keller von Preston hängt mir noch immer an, glaube ich), und wegen meiner vielen Arbeit und einer gewissen Schwäche wurde ich wiederum – diesmal von meinen Mitschülern – als ungesellig betrachtet.
    Während meiner gesamten Zeit als Stipendiat in der Schule lebte ich nur wenige Meilen von Bruder Hawkyards Gemeinde entfernt; und wenn ich an einem Sonntag Ausgang hatte (wie wir es nannten), begab ich mich auf seinen Wunsch dorthin. Ehe mir das Wissen aufgezwungen wurde, dass diese Brüder und Schwestern außerhalb ihrer Versammlungsstätte keinen Deut besser waren als der Rest der menschlichen Familie, sondern insgesamt, vorsichtig ausgedrückt, so schlecht wie die meisten, wenn es darum ging, in ihren Läden beim Wiegen zu betrügen und nicht die Wahrheit zu sagen – ich betone, ehe mir dieses Wissen aufgezwungen wurde, war ich bereits außerordentlich schockiert über ihre weitschweifigen Reden, ihre außerordentliche Eitelkeit, ihre unverschämte Ignoranz, die Tatsache, dass sie dem höchsten Herrn des Himmels und der Erde ihre eigenen elenden Gemeinheiten und Kleinlichkeiten zuschrieben. Und doch litt ich, da sie jeden, der nicht merkte, dass sie sich in einem gesteigerten Gnadenzustand befanden, »selbstsüchtig« nannten, eine Weile schlimme Qualen, weil ich mich fragte, ob unter meinem mangelnden Verständnis für diesen Gnadenzustand vielleicht noch immer mein junger selbstsüchtig-teuflischer Geist lauerte.
    Bruder Hawkyard war der beliebte Schriftenausleger bei diesen Zusammenkünften und nahm an den Sonntagnachmittagen im Allgemeinen die Plattform (es gab anstatt einer Kanzel eine kleine Plattform mit einem Tisch darauf) als Erster in Beschlag. Er betrieb das Gewerbe eines Farbwarenhändlers. Bruder Gimblet, ein älterer Mann mit einem mürrischen Gesicht und einem großen Hemdkragen mit schlaffen Kragenspitzen und einem blauen Halstuch mit Tupfen, das er bis zum Hinterkopf hochzog, war ebenfalls ein Farbwarenhändler und Schriftenausleger. Bruder Gimblet beteuerte, die größte Bewunderung fürBruder Hawkyard zu empfinden, hegte aber (hatte ich mir mehr als einmal gedacht) insgeheim einen neidischen Groll gegen ihn.
    Der geneigte Leser dieser Zeilen möge sich der Mühe unterziehen, meine feierliche Beteuerung zweimal zu überfliegen, dass ich das, was ich über die Sprache und die Gepflogenheiten der besagten Gemeinde schreibe, sorgfältig, buchstäblich und genau nach dem Leben und der Wahrheit schreibe.
    Am ersten Sonntag, nachdem ich das errungen hatte, worum ich mich so lange bemüht hatte, und als endlich sicher war, dass ich das College besuchen würde, beendete Bruder Hawkyard eine lange Ausführung folgendermaßen: »Nun, meine lieben Freunde und Mitsünder, ich habe euch, als ich anhub, erklärt, dass ich noch kein Wort von dem wusste, was ich euch sagen würde (und, nein ich wusste es nicht!), dass mir das aber ganz einerlei sei, weil ich wusste, dass der Herr mir die Worte, die mir fehlten, in den Mund legen würde.«
    (»Genau!«, kam von Bruder Gimblet.)
    »Und er hat mir die Worte in den Mund gelegt, die mir fehlten.«
    (»Das hat er!«, kam von Bruder Gimblet.)
    »Und warum?«
    (»Ah, sagt es uns!«, kam von Bruder Gimblet.)
    »Weil ich nun schon fünfunddreißig Jahre sein treuer Diener bin und weil er das weiß. Fünfunddreißig Jahre! Und er weiß es, das kann ich euch sagen! Ich habe diese Worte, die mir fehlten, als meinen Lohn bekommen. Ich habe sie vom Herrn bekommen, meine lieben Mitsünder. ›Herab!‹, sagte ich, ›da ist ein Haufen Lohn fällig; schickt uns etwas herab, als Anzahlung.‹ Und ich habe diese Worte bekommen und ich habe sie an euch weitergezahlt, und ihrwickelt sie nicht in eine Serviette, nicht in ein Handtuch, nicht einmal in ein Taschentuch ein, nein, ihr werdet sie mit guten Zinsen weitergeben. Sehr gut. Nun, meine Brüder und Schwestern und Mitsünder, werde ich mit einer Frage schließen, und ich werde sie so einfach stellen (mit der Hilfe des Herrn, sollte ich hoffen, nach den fünfunddreißig Jahren!), dass selbst der Teufel sie nicht in euren Köpfen verdrehen kann – was er sicher mit größtem Vergnügen täte.«
    (»Ganz bestimmt täte er das, der schlaue alte Schurke!«, kam von

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