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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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mir gegenüber vollständig bezeugte und meinen umfassenden Dank aussprach. Dieses Schreiben könnte ihm auch als Ehrenrettung gegen jegliche dunkle Schmach vonseiten eines Mitbruders und Schriftauslegers oder von anderer Seite dienen.
    Also setzte ich mit großer Sorgfalt dieses Dokument auf. Ich darf hinzufügen: auch mit viel Gefühl, denn es berührtemich doch sehr, während ich schrieb. Da mir in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Abschluss der Schule und Cambridge keine bestimmten Studien aufgegeben waren, beschloss ich, Bruder Hawkyard in seinen Geschäftsräumen aufzusuchen und ihm das Schriftstück eigenhändig zu überreichen.
    Es war ein Winternachmittag, als ich an die Tür seines kleinen Kontors klopfte, das sich am hinteren Ende seines langen, niedrigen Ladens befand. Als ich das machte (nachdem ich über den Hinterhof eingetreten war, wo Fässer und Kisten angeliefert wurden und wo ein Schild »Privateingang zum Kontor« hing), rief mir ein Ladengehilfe zu, dass er Besuch hätte.
    »Bruder Gimblet«, sagte der Ladendiener, der auch zur Bruderschaft gehörte, »ist bei ihm.«
    Ich überlegte, dass dies für meine Zwecke nur umso besser wäre, und klopfte beherzt noch einmal an. Sie redeten leise, und Geld wechselte den Besitzer, denn ich hörte, wie es auf den Tisch gezählt wurde.
    »Wer ist da?«, fragte Bruder Hawkyard mit schneidender Stimme.
    »George Silverman«, antwortete ich und hielt die Tür auf. »Darf ich hereinkommen?«
    Die beiden Brüder schienen so erstaunt, mich zu sehen, dass ich mich noch gehemmter als gewöhnlich fühlte. Sie wirkten in dem frühen Gaslicht recht leichenhaft, vielleicht hatte auch das zufällige Zusammentreffen mit mir den Ausdruck auf ihren Gesichtern überhöht.
    »Was ist los?«, fragte Bruder Hawkyard.
    »Ja, was ist los?«, fragte Bruder Gimblet.
    »Gar nichts«, antwortete ich und zog schüchtern mein Schriftstück hervor. »Ich bringe nur einen Brief von mir.«
    »Von dir, George?«, rief Bruder Hawkyard.
    »Und an Sie«, sagte ich.
    »Und an mich, George?«
    Er wurde noch blasser und öffnete ihn eilig; aber nachdem er ihn überflogen und in groben Zügen gesehen hatte, was darin stand, hatte er es nicht mehr so eilig, bekam wieder etwas Farbe im Gesicht und sagte: »Gepriesen sei der Herr!«
    »Genau!«, bestätigte Bruder Gimblet. »Gut gesprochen! Amen.«
    Dann fuhr Bruder Hawkyard etwas lebhafter fort: »Du musst wissen, George, dass Bruder Gimblet und ich unsere Geschäfte zusammenlegen. Wir schließen eine Partnerschaft. Wir besiegeln sie gerade eben. Bruder Gimblet bekommt eine Hälfte der Einkünfte ohne Abzüge (o ja, die soll er bekommen; er soll sie bis zum letzten Viertelpenny bekommen).«
    »So Gott will«, meinte Bruder Gimblet und schlug sich mit der rechten geballten Faust auf das rechte Bein.
    »Es gibt keine Einwände dagegen«, fuhr Bruder Hawkyard fort, »dies hier laut vorzulesen, George?«
    Da genau dies nach dem gestrigen Gebet meine ausdrückliche Absicht gewesen war, gestattete ich ihm nur zu gern, es laut vorzulesen. Das machte er, und Bruder Gimblet lauschte mit säuerlichem Lächeln.
    »Es war eine gute Stunde, als ich hierhergekommen bin«, sagte Bruder Gimblet und kniff die Augen zusammen. »Und es war eine gute Stunde, als ich mich gestern bewegt fühlte, zum Schrecken aller Bösewichte eine Person auszumalen, deren Natur so genau das Gegenteil von der Bruder Hawkyards ist. Aber das alles hat der Herr bewirkt: Ich habe gemerkt, wie er seine Wunder wirkte, als ich schwitzte.«
    Danach schlugen beide vor, dass ich vor meiner endgültigenAbreise noch einmal zu einer Zusammenkunft kommen sollte. Ich wusste schon im Voraus, wie ich in meiner schüchternen Zurückhaltung leiden würde, wenn man so ausdrücklich auf mich hin predigte und auf mich hin betete. Aber ich überlegte, dass es ja das letzte Mal sein und meinem Brief zusätzliches Gewicht verleihen würde. Den Brüdern und Schwestern war wohlbekannt, dass in
ihrem
Paradies für mich kein Platz reserviert war, und wenn ich Bruder Hawkyard noch dieses letzte Mal nachgab, allgemein sichtbar, trotz meiner sündigen Neigungen, dann würde das vielleicht ein wenig dazu beitragen, meine Aussage zu unterstreichen, dass er gut zu mir gewesen war und dass ich ihm dankbar war. Nachdem ich es lediglich zur Bedingung gemacht hatte, dass keine ausdrücklichen Versuche zu meiner Bekehrung unternommen werden sollten – welche stets damit verbunden waren, dass diverse Brüder und Schwestern

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