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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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die dann hervorbarst, all das stimmte meine Gedanken nach den Disharmonien der Nacht neu ein. Es schien mir, als sagte mir alles, was ich betrachtete, und als hörte ich im Meer und in den Lüften: »Tröste dich, du Sterblicher, damit, dass dein Leben so kurz ist. Unsere Vorbereitungen für das, was danach folgen soll, dauern schon unvorstellbare Zeiten an und werden noch so weiterandauern.«
    Ich traute die beiden. Ich wusste, dass meine Hand kalt war, als ich sie auf ihre ineinander verschlungenen Hände legte, aber die Worte, mit denen ich diese Handlung zu begleiten hatte, vermochte ich ohne Zögern auszusprechen, und ich hatte meinen Frieden gemacht.
    Sobald sie von meinem Haus und dem Ort unseres schlichten Frühstücks weit genug entfernt waren, war die Zeit gekommen, das zu tun, was ich ihnen versprochen hatte – Mylady von der Sache in Kenntnis setzen.
    Ich ging zum Herrenhaus hinauf und fand Mylady in ihrem üblichen Geschäftsraum vor. Sie hatte an diesem Tag zufällig eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Aufträgen, die sie mir anvertrauen wollte, und hatte meine Hände bereits mit Papieren gefüllt, ehe ich nur ein Wort hervorbringen konnte.
    »Mylady«, begann ich dann, als ich neben ihrem Tisch stand.
    »Nun, was gibt es?«, antwortete sie rasch und blickte hoch.
    »Nicht viel, würde ich gern hoffen, nachdem Sie sich vorbereitet und die Sache ein wenig überdacht haben.«
    »Mich vorbereitet und die Sache ein wenig überdacht!
Sie
scheinen sich jedenfalls nur unvollkommen vorbereitet zu haben, Mr. Silverman.« Dies sagte sie überaus verächtlich,als ich unter ihrem starren Blick meine übliche Verlegenheit verspürte.
    Darauf meinte ich ausnahmsweise zu meiner Entschuldigung: »Lady Fareway, ich habe für mich nur anzumerken, dass ich versucht habe, meine Pflicht zu tun.«
    »Für sich anzumerken?«, wiederholte Mylady. »Dann waren auch noch andere betroffen, nehme ich an. Wer sind die?«
    Ich wollte gerade antworten, als sie sich mit einer raschen Bewegung, die mich innehalten ließ, zur Glocke bewegte und fragte: »Nun, wo ist denn Adelina?«
    »Ich bitte um Nachsicht! Nur ruhig, Mylady. Ich habe sie heute Morgen mit Mr. Granville Wharton getraut.«
    Sie kniff die Lippen zusammen, schaute mich durchdringender denn je an, hob dann die rechte Hand und schlug mir fest auf die Wange.
    »Geben Sie mir diese Papiere zurück! Geben Sie mir diese Papiere zurück!« Sie riss sie mir aus den Händen und warf sie heftig auf den Tisch. Dann setzte sie sich wütend auf ihren großen Sessel, verschränkte die Arme und traf mich mitten ins Herz mit dem unverhofften Vorwurf: »Sie selbstsüchtiger Schurke!«
    »Das hier, bitte sehr«, fuhr sie mit äußerster Verächtlichkeit fort und deutete mit dem Finger auf mich, als wäre sonst noch jemand da, der es sehen konnte, »dies hier, bitte sehr, ist der selbstlose Gelehrte, der außer seinen Büchern nichts im Kopf hat! Das hier, bitte sehr, ist der schlichte Geselle, den jeder bei einem Geschäft übervorteilen kann! Das hier, bitte sehr, ist Mr. Silverman! Nicht von dieser Welt, nein, er nicht! Er ist ja zu schlicht für die List dieser Welt. Er besitzt zu viel ehrliche Zielstrebigkeit, als dass er den Betrügereien der Welt gewachsen wäre. Was hat er Ihnen dafür gegeben?«
    »Wofür? Und wer?«
    »Wie viel?«, fragte sie, beugte sich in ihrem großen Sessel vor und klopfte in beleidigender Geste mit den Fingern der Rechten auf die Handfläche der linken Hand. »Wie viel zahlt Ihnen Mr. Granville Wharton dafür, dass Sie ihm Adelinas Geld verschafft haben? Wie hoch ist der Prozentsatz, den Sie von Adelinas Vermögen einstreichen? Wie sahen die Vertragskonditionen aus, die Sie diesem Jungen vorgeschlagen haben, wenn Sie, Hochwürden George Silverman, mit Lizenz zum Trauen von Paaren, sich verpflichteten, ihm dieses Mädchen zuzuführen? Sie haben gewiss gute Bedingungen für sich selbst ausgehandelt, wie immer sie ausgesehen haben mögen. Er hätte Ihrer Geldgier sicher nicht viel entgegenzusetzen gehabt.«
    Verwirrt, entsetzt, benommen von dieser grausamen Wendung, konnte ich kein Wort hervorbringen. Aber ich versichere Ihnen, ich habe unschuldig ausgesehen, da ich es war.
    »Jetzt hören Sie mir zu, Sie listiger Scheinheiliger«, sagte Mylady, deren Wut immer noch anwuchs, während sie sie äußerte, »lauschen Sie meinen Worten, Sie gerissener Intrigant, die Sie diesen Plan mit dem geübten doppelten Gesicht durchgeführt haben, das ich bei Ihnen niemals

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