Der schwarze Schleier
›Schütteln Sie Mr. Grig die Hand‹, doch tatsächlich sein Bein herstreckte. ›Was für ein Gehirn, Mr. Grig!‹, rief da der alte Herr voller Entzücken. ›Das ist Philosophie! Das ist Nachdenken! Stören Sie ihn nicht‹, sagte er, ›denn das ist wirklich erstaunlich!‹
Tom hatte durchaus nicht den Wunsch, ihn zu stören, da er nichts Besonderes zu sagen hatte; aber Mooney war so lange ungewöhnlich erstaunlich, dass der alte Herr ungeduldig wurde und sich wohl entschlossen hatte, ihm einen elektrischen Schock zu versetzen, um ihn wachzurütteln. ›Denn Sie müssen wissen, Mr. Grig‹, sagte er, ›dass wir zudiesem Zweck immer eine stark aufgeladene Batterie bereithalten.‹ Da man nun zu diesem Mittel gegriffen hatte, meine Herren, und der begabte Mooney mit einem lauten Brüllen wiederbelebt war, war er kaum zu sich gekommen, als er und der alte Herr Tom voller Mitleid betrachteten und reichlich Tränen vergossen.
›Mein lieber Freund‹, sagte da der alte Herr zum Begabten, ›präpariere ihn.‹
›Verflixt‹, rief da Tom und wich zurück, ›nichts dergleichen, wirklich. Kein Präparieren durch Mr. Mooney, wenn ich bitten darf.‹
›Leider, leider!‹, erwiderte der alte Herr. ›Sie verstehen uns nicht. Mein Freund, berichte ihm von seinem Schicksal. Ich kann es nicht.‹
Der Begabte räusperte sich und gab Tom nach vielen Bemühungen zu verstehen, dass man seine Nativität sorgfältig aufgestellt hätte und dass er genau an diesem Tag in zwei Monaten und um fünfunddreißig Minuten, siebenundzwanzig und fünf Sechstel Sekunden nach neun Uhr morgens sein Leben aushauchen würde.
Meine Herren, ich überlasse es Ihrem Urteil, was Toms Gefühle anlässlich dieser Ankündigung gewesen sein mögen, am Vorabend seiner Hochzeit und ungeahnter Reichtümer. ›Ich glaube‹, antwortete er mit bebender Stimme, ›dass es bei der Berechnung einen Fehler gegeben haben muss. Würden Sie mir den Gefallen tun, sie noch einmal zu erstellen?‹
›Da gibt es keinen Fehler‹, erwiderte da der alte Herr. ›Sie wurde von Francis Moore, einem Arzt, offiziell bestätigt. Hier ist die Vorhersage für morgen in zwei Monaten.‹ Und er zeigte ihm die Seite, wo auch wirklich diese Worte standen: ›Das Ableben einer hochgestellten Persönlichkeit ist für etwa diese Zeit zu erwarten.‹
›Was‹, ergänzte der alte Herr, ›eindeutig Sie sind, Mr. Grig.‹
›Zu eindeutig‹, sagte Tom, sank auf einen Stuhl und gab eine Hand dem alten Herrn, die andere dem Begabten. ›Die Sonne ist für Tom auf ewig untergegangen!‹
Nach dieser rührenden Anmerkung brach der Begabte wiederum in Tränen aus, und die beiden anderen mischten ihre Tränen mit darein, so als gehörten sie alle – wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf – zur Firma Zerstreut, Weltfremd & Compagnie. Aber der alte Herr erholte sich als Erster, bemerkte, dass es nun umso mehr Grund für eine schleunige Eheschließung gäbe, auf dass Toms hervorragende Art an nachfolgende Generationen weitergegeben würde; und nachdem er den Begabten gebeten hatte, Mr. Grig während seiner zeitweiligen Abwesenheit zu trösten, zog er sich zurück, um unverzüglich mit seiner Nichte die Vorbereitungen dafür zu treffen.
Und nun, meine Herren, ereignete sich etwas Außergewöhnliches und Bemerkenswertes; denn wie Tom da noch melancholisch auf dem einen Stuhl saß und der Begabte melancholisch auf einem anderen, wurden zwei Türen heftig aufgerissen und die beiden jungen Damen stürmten herein, und die eine kniete sich in liebevoller Haltung zu Toms Füßen hin und die andere zu denen des Begabten. Bisher war dabei, was Tom betraf – und wie er immer zu sagen pflegte –, nichts Seltsames; aber Sie werden Ihre Meinung ändern, wenn ich Ihnen jetzt zu verstehen gebe, dass Toms junge Dame bei dem Begabten kniete und die junge Dame des Begabten bei Tom.
›Hallo! Halt!‹, rief da Tom, ›da stimmt was nicht. Ich brauche in meinen quälenden Umständen den Trost einer mitfühlenden Frau, aber wir haben uns in der Person geirrt. Partnertausch, Mooney.‹
›Ungeheuer!‹, rief da Toms junge Dame und klammerte sich an den Begabten.
›Miss!‹, sagte Tom. ›Wo bleiben Ihre Manieren?‹
›Ich schwöre dir ab!‹, rief Toms junge Dame. ›Ich entsage dir. Ich werde niemals die Deine. Du‹, sagte sie zu dem Begabten, ›bist der Gegenstand meiner ersten und allumfassenden Leidenschaft. Du warst so sehr mit deinen hehren Visionen beschäftigt, dass du meine Liebe
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