Der schwarze Thron - Reiter reiter3
konnte den Ausdruck in ihren Augen nicht deuten, und plötzlich wurde er misstrauisch. Wozu hatte er sich da gerade bereit erklärt?
»Kiebitz braucht Bewegung«, sagte sie. »Ich habe sie nicht reiten können seit – seit …« Sie zeigte auf ihren an den Oberkörper gebundenen Arm. »Könntest du sie bewegen, während ich bei Merdigen bin? Du könntest Falke reiten und sie führen.«
»Ich …« Er blieb ungelenk vor dem Turm stehen, überrascht über die einfache Bitte. Er hatte etwas Tückischeres erwartet. Dale und Tegan waren der Schrecken der Reiterunterkunft und spielten den anderen bei jeder Gelegenheit Streiche. Das hier war etwas anderes, und er konnte sich nur vorstellen, wie frustriert sie sein musste, weil sie sich nicht um ihr eigenes Pferd kommen konnte. Es war ungemein wichtig, sich darum zu kümmern, dass ein Botenpferd sich in bester Verfassung befand. »Selbstverständlich werde ich das tun, aber …«
Bevor er noch zu Ende gesprochen hatte, ging sie zur Turmmauer und hinein. Er ballte die Fäuste, löste sie wieder
und starrte die leere Wand an. Es widerstrebte ihm, seinen Posten zu verlassen. Was, wenn wieder etwas schiefginge? Konnten die Pferde nicht warten? Aber er hatte es versprochen. Dann erkannte er kopfschüttelnd, was Dale wollte: Er sollte sich keine Sorgen um sie machen. Sie versuchte, ihn zu beschäftigen.
Also nahm er sich resigniert vor, ihre Bitte zu erfüllen. Zumindest das konnte er tun. Er stellte zwei Wachen am Turm auf und befahl ihnen, ihn sofort zu suchen, wenn es Ärger gab. Dann wandte er dem Turm den Rücken zu und ging zu den Pferden. Erst jetzt wurde ihm klar, wie lange es her war, seit er Nachtfalke das letzte Mal bewegt hatte. Hauptmann Mebstone würde das nicht mögen. Kein bisschen.
Als Dale ohne Zwischenfälle in den Turm gelangte, sank sie erleichtert zu Boden, so erleichtert, dass sie beinahe geweint hätte. Sie war nicht so mutig, wie sie getan hatte, als sie Alton sagte, sie würde zurückkehren. Ihre Alpträume von den schwarzen Flügeln der Flugechsen waren ersetzt worden von dem Gefühl, dass ihre Knochen zerquetscht und pulverisiert wurden und ihre Seele ewig im Stein gefangen war. Der einzige Weg, ihren Mut wiederzufinden, bestand darin, sich dem zu stellen, was sie am meisten fürchtete, so wie man wieder in den Sattel steigt, nachdem man vom Pferd gefallen ist. Es ging nicht anders.
Zum Glück war der Weg in den Turm diesmal so einfach gewesen wie beim ersten Mal – kein Widerstand, keine Festigung der Mauer um sie herum. Kein Knacken in ihren Ohren, nicht einmal Stimmen. Vollkommen normal, als wäre es nie anders gewesen.
Nun versuchte sie, ihren Atem zu beruhigen, und sie zitterte immer noch von all der Angst, die sich in ihr aufgestaut
hatte. Als sie schließlich die Augen öffnete, sah sie Merdigen, der auf sie herabschaute.
»Du bist zurückgekommen«, sagte er leise. »Ich dachte nicht, dass du nach …«
»Ich dachte es auch nicht. Weißt du, was passiert ist? Warum der Wall mich gefangen hat?«
Merdigen nestelte an seinem Bart. »Die Hüter sind noch unsicherer geworden. Ich habe mich für dich eingesetzt, damit sie dich gehen ließen. Zum Glück waren sie nicht vollkommen unzugänglich, als ich sie überzeugte, dass du ihnen nicht schaden wirst. Ich denke, sie werden dir sicheres Geleit gewähren … zumindest im Augenblick. Ich würde ihnen nicht vollkommen trauen.«
Wie beruhigend, dachte Dale.
Merdigen stand eine Weile schweigend da und schaute ins Leere. Als er wieder lebendig wirkte, erschreckte er Dale. »Ich muss jemanden finden, der sich um meine Katze kümmert! «
»Was?«
»Ich unternehme eine Reise. Es könnte gefährlich sein, es könnte sinnlos sein, aber ich denke, es ist notwendig, und ich kann es nicht länger verschieben.«
»Du tust was?«
Merdigen ging durch den Turmraum und zwischen zwei Säulen hindurch in die Mitte des Turms. Dale stand auf und folgte ihm. Diesen Übergang von Steinkammer ins offene Grasland würde sie nie begreifen. Über ihnen huschten schwere Wolken über den Himmel, die sie an den Winter erinnerten.
Merdigen rieb sich die Hände. »Es ist Zeit, dass die Turmhüter aufwachen! Ich werde mich zuerst zu den östlichen Türmen wenden.«
Dale sah ihm staunend zu, als er eine Taube aus dem Ärmel zog und ihr etwas zuflüsterte. Er warf sie in die Luft, und mit einem Flattern ihrer weißen Flügel umkreiste sie sie einmal, zweimal, und dann schoss sie durch den Torbogen im Osten und
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