Der schwarze Thron - Reiter reiter3
neben dem Wall ein Lager aufzuschlagen wäre auch nicht besser, als den Winter auf dem Habichthügel zu verbringen. Im Frühling war immer noch genug Zeit, um den Wall zu vernichten, oder nicht?
Sie war sich einfach nicht sicher und betete jeden Tag um Rat. Die ganze Zeit predigte sie ihren Leuten, dass Gott sich um sie kümmern würde. Er würde dafür sorgen, dass das Reich seine frühere Größe wiedererlangen würde. Sie hatte ihn den ganzen Sommer über flüstern gehört, und von diesem Zeitpunkt an war ihre Fähigkeit, die Kunst auszuüben, gewachsen. Sie hatte erfahren, dass im Schwarzschleierwald eine Präsenz erwacht war und dass die Ältesten des Zweiten Reiches glaubten, es sei Mornhavon der Große. Dies war das Zeichen, dass die Zeit des Aufstiegs der Nachkommen von Arcosia gekommen war.
Leider hatte sie seit dem Ende des Sommers kaum noch Omen erfahren. Gott flüsterte ihr nicht mehr zu, und die Präsenz im Schwarzschleierwald war verschwunden oder eingeschlafen. Alles war verschwunden. Alles, bis auf ihre Fähigkeit, in der Kunst zu arbeiten. Sie fühlte sich verlassen, obwohl sie wusste, dass die Stille nur ein vorübergehender Zustand war.
Seufzend blickte sie ins Feuer, und die Geschäftigkeit des Lagers drang gar nicht in ihr Bewusstsein. Soldaten kamen
und gingen. Heute war der Tag, an dem Sarge ihnen Lady Estora bringen sollte. Vielleicht würde es sogar interessant sein, die Edelfrau kennenzulernen, aber ihre wahre Absicht hinter der Entführung war es, den König und seine Beschützer abzulenken, seine Schwarzen Schilde wegzulocken und damit die Burg und die Gräber ungeschützt zu lassen.
Sie würde Immerez freistellen, ob sie die Adlige umbringen oder später zu irgendeinem anderen, besseren Zweck benutzen wollten, denn er kannte die Gedanken und die Herzen der Adligen besser als sie und wusste, welche Handlungsweise letzten Endes am vorteilhaftesten sein würde.
Sie warf noch ein paar Holzscheite ins Feuer. Die Flammen flackerten und loderten, und sie schob den Baumstamm, auf dem sie saß, näher an die Wärme. Lala spielte irgendwo mit ihrer Schnur, und im Moment schien niemand sie zu brauchen, also saß sie allein mit ihren Gedanken, deprimiert von der Kälte und ihrer eigenen Ratlosigkeit, obwohl so viele Leute auf sie zählten.
Ein Gedanke bereitete ihr jedoch Vergnügen: Bestimmt hatte Thursgad inzwischen das Buch und war bereits unterwegs in die Stadt Sacor. Sie lächelte, als sie daran dachte, in was für ein Chaos ihre kleine Überraschung in Gestalt der silbernen Kugel die Bewohner der Burg stürzen würde. Fast wünschte sie sich, sie könnte dabei sein, um es mitzuerleben. Fast .
Ein Habicht kreischte in der Luft. Ihre Anzahl hatte sich in den letzten Wochen stark vermindert, denn die meisten waren bereits zu ihrem Winterquartier aufgebrochen. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass es für sie und ihr Volk Zeit war, weiterzuziehen. Bald würde der Schnee kommen, und dann säßen sie in der Falle.
Während sie in den Himmel sah und den schwebenden
Habicht beobachtete, kam ihr der Gedanke, dass sie ihre Kunst dazu benutzen könnte, einen Rat zu bekommen, wo und wie sie überwintern sollte. In Gedanken durchstöberte sie ihr Wissen um Beschwörungen und Knoten nach etwas Passendem. Sie konnte natürlich nicht Gott direkt anrufen, aber vielleicht konnte sie ihre Gebete intensivieren und sich auf diesem Weg der Inspiration öffnen.
Die Knotenfolge, auf die sie kam, nannte sich das Himmelsauge. Es war eigentlich keine richtige Beschwörung, sondern eher ein Opfer und eine Methode, sich zu konzentrieren und dem Göttlichen zu öffnen. Ihre Mutter und alle ihre Mütter vor ihr hatten das Himmelsauge benutzt, wenn sie Führung brauchten oder ganz sicher sein wollten, dass Gott ihre Gebete auch deutlich hörte.
Großmutter suchte in ihren Beuteln nach passendem Garn. Kürzlich waren sie, Lala und einige andere Frauen nach Mirwellton gereist, um Vorräte einzukaufen. Dort hatte Großmutter einen Weber aufgesucht, der Garn von hoher Qualität herstellte und außerdem ein begabter Färber war. Großmutter hatte kostbares Silber ausgegeben, um ihre Vorräte aufzufrischen.
Sie beschloss, das himmelblaue Garn zu verwenden. Die ewige Wiese, der Himmel ihres Volkes, wurde stets als »irgendwo da oben« begriffen: über den Wolken und jenseits der Sterne, also schien es passend, die Farbe der Luft herzunehmen.
Sie zog ihre Fäustlinge aus und schnitt etwas Garn ab. Sie knüpfte einige Knoten
Weitere Kostenlose Bücher