Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
den Caitlín je gesehen hatte, und überall warteten Körbe mit Möhren, Sellerie und Lauch, geputzt und geschnitten zu werden. »Wenn der Herr kein Ale mehr von dir verlangt, könnte ich zwei zusätzliche Hände gut gebrauchen«, sagte Edana über die Schulter hinweg. Der Schweiß lief ihr in Strömen die Wangen hinunter, und ihr kurzer Schopf ähnelte noch mehr einer Distel. »Dyrí Gollnirssons große Eskorte für seine Schwester Sif wird uns die nächsten Tage auf Trab halten. Ein Nordmann isst für drei Iren, wusstest du das?«
Rasch streifte sich Caitlín das Kettchen über den Kopf und ließ den Anhänger in den Ausschnitt ihres Kleides gleiten. Dann schnappte sie sich ein Messer und nahm sich einen Möhrenkorb vor.
Der Anhänger war eine alte Münze, in die man ein Loch gebohrt hatte. Vermutlich eine römische, denn sie zeigte das Profil eines Mannes mit verweichlicht wirkenden Zügen und einem Lorbeerkranz auf dem Haupt. Was sollte sie damit? Der Mann, den sie wollte, wollte eine andere; und der andere, sein Bruder, den sie nicht wollte, warf ein Auge auf sie. Eine solche Frau brauchte wahrhaftig keinen Schmuck.
»Du hast ja einen ordentlichen Schlag«, meinte Edana im Vorbeigehen, da Caitlín verbissen immer wieder die Klinge niedersausen ließ. Sie war froh um die Ablenkung. Alles war ihr recht, solange sie nicht mitansehen musste, was sich in der Halle tat. Sogar dass sich Álfdis näherte, um zu begutachten, was ihre Sklavinnen und Dienerinnen taten, störte sie nicht. Neben Caitlín blieb sie am längsten stehen, als warte sie nur darauf, dass die Karottenstücke zu klein, zu groß oder zu unregelmäßig ausfielen. Caitlín gab ihr keinen Grund zur Klage. Daheim war es selbstverständlich gewesen, bei der Küchenarbeit zu helfen, schließlich verfügte man in Irland über nicht annähernd so viele Sklaven wie hierzulande. Wieder einmal überkam sie Wehmut, wenn sie an ihr Zuhause dachte. Und daran, dass sie es so leichtfertig aufgegeben hatte. Als Éamonns Frau hätte sie ihre Familie wenigstens ab und zu besuchen können …
»Verdammt!«, entfuhr es ihr. Die Messerspitze hatte einen ihrer Finger erwischt. Ärgerlich lutschte Caitlín an dem kleinen Schnitt. Álfdis hob die Brauen und schritt weiter.
Natürlich waren auch die Festmähler der Nordländer legendär. Ale, Met, Birkenwein und Wermut aus dem Frankenreich flossen in Strömen, hatte man sich daheim in Lionee erzählt, und geraubte Frauen mussten auf den Tischen tanzen. Dass Letzteres der Wahrheit entsprach, hatte Caitlín am eigenen Leibe erlebt. Auch heute hüpften und drehten sich einige Frauen auf dem großen Tisch in der Halle so schnell, dass unter den fliegenden Röcken ihre Oberschenkel sichtbar wurden. Allerdings taten sie es freiwillig und mit sichtlichem Vergnügen. Ein paar Männer spielten dazu auf Pfeifen und Knochenflöten, und ein Junge trommelte so wild, dass sich seine Hände und Wangen vor Anstrengung röteten. Die Männer sangen grässliche Weisen, und waren sie erschöpft, so verlangten sie, dass Patrick die Harfe schlug. Dann erzählte er mit heller Stimme von den Abenteuern der Götter Odin, Loki und Hoenir. Eine Geschichte spann sich darum, dass die Götter einen Otter töteten. Doch Otur war in Wahrheit ein Mensch gewesen, und sein Vater Hreidmar forderte ein Wergeld. Die Götter bezahlten es mit einem Schatz, auf dem ein Fluch lag: Wer immer ihn besaß, stürzte ins Unglück. Hreidmar erging es nicht anders, wurde er doch von seinem Sohn Fafnir erschlagen, der einen Teil des Hortes für sich einforderte. Nachdem er auch seinen Bruder Regin ermordet hatte, hockte Fafnir fortan auf dem geraubten Gold, und der Fluch verwandelte ihn in einen Drachen. Caitlín kannte die Erzählung von den abendlichen Feuern in der heimischen Burg.
So sind die Nordländer , hatte es geheißen. Da macht der Sohn nicht vorm Vater halt und der eine Bruder nicht vorm anderen .
Die Männer lauschten, wie zum Ende der Geschichte der Held Sigurd den Drachen erschlug und den Schatz gewann. Ihre Augen leuchteten, als hörten sie die Sage zum ersten Mal. Derweil mühten sich die Frauen, ihrem gewaltigen Hunger nach Seehund-und Schweinefleisch, nach geräuchertem Hai und eingelegten Heringen abzuhelfen. Auf den Schultern schleppten sie Bretter herbei, auf denen sich Brote, Apfel- und Honigkuchen, Sülze und übelriechender Sauermilchkäse türmten. Von den Fingern der Feiernden troff das Fett, und in den Bärten hing die Bratensoße. In einer
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