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Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Titel: Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shirley Waters
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nach dem wärmeren Irland sehnte, so war dieses Land unbestritten schön.
    Wenn man nur als freier Mensch hier leben könnte. Aber sie war …
    »Heiliger Patrick«, murmelte Caitlín und griff sich an den nackten Hals. Die Wahrheit begann ihr zu dämmern. Njal trug jetzt das Eisen. Er war … ein Sklave.
    Das neue Wissen legte sich so schwer auf ihre Schultern, dass sie liebend gern zurück auf ihr Schlafpodest geklettert wäre. Sie wollte sich in den Fellen verstecken und weiterträumen, auf immer und ewig der Wirklichkeit entfliehen. Aber das war nur ein verlockender Wunschtraum.
    Ein Geräusch vom Tor her ließ sie aufmerken. Njal. Statt eines Umhangs trug er nur zwei Hemden übereinander. An seinem Gürtel hing weder Schwert noch Dolch – ein ungewohnter Anblick. Und sein kostbares Silberband war einer Lederschnur gewichen, die sein Haar bändigte. Zwei Wächter mühten sich, auf ihre Stiefelspitzen zu starren, während er durch das halb geöffnete Tor stapfte.
    Caitlín nahm nicht an, dass er fliehen wollte, ganz ohne Waffe, ohne sein Pferd und ohne Proviant. Zudem war Thrymheimr sein Zuhause. Dennoch schob sie sich die Kapuze tief in die Stirn und eilte ihm nach.
    Zögernd stapfte sie durch den Schnee auf das Tor zu. Die Wächter unterhielten sich leise. Caitlín konnte hören, dass Njals Name fiel. Nur flüchtig hoben sie die Köpfe, als sie so gelassen wie möglich an ihnen vorüberschritt. Mit einem Mal war sie auf der anderen Seite des Walls.
    Erleichtert atmete sie auf. Vermutlich war es für sie vorteilhaft gewesen, keinen Sklavenreif mehr zu tragen und dass die beiden Wächter nicht jene gewesen waren, die sie damals des Nachts auf Álfdis’ Pferd hatten ausreiten lassen …
    In der Ferne sah sie Njal ausschreiten. Sie folgte seiner Spur im Schnee. Es ging über grasbewachsene Hügel, auf denen sich graue Felsen erhoben, wie von Frostriesen hingeworfen. Steil fiel das Land dahinter ab. Caitlín stand an einer Bucht, die von hoch aufragenden Fjordfelsen umschlossen wurde. Schnee tupfte ihre Kuppen weiß. Das Meer ähnelte einem blauen, geschmolzenen Edelstein, in dem sich alles so deutlich spiegelte, als gäbe es darunter eine zweite, verkehrte Welt. Dazwischen kleine Inseln. Ein Fischerkahn kam in die Bucht gerudert und hielt auf die Schiffslände zu, einen flachen Strand, auf dem kieloben Boote lagen. Auch ein Drachenschiff war darunter. War es jenes, mit dem Njal und Thorir nach Irland gekommen waren? Es lag auf der Seite, der Mast und der Drachenkopf ruhten sicher auf Böcken. Zwei Männer waren damit beschäftigt, die Planken zu reinigen, während sich zwei andere um eine Knorr kümmerten. War Thorir auf diesem Schiff nach Kaupang gefahren? Njal sah den Arbeitern eine Weile von Ferne zu. Dann lief er ans andere Ende des Strandes.
    Caitlín stieg den felsigen Abhang hinab. Ja, sie entsann sich, schon einmal hier gewesen zu sein. In dieser Bucht war die Knorr, die sie und Njal hierhergebracht hatte, während eines späten Wintersturms gesunken. An diesem Strand musste Thorir sie aufgelesen haben. Sie meinte sogar, sich zu erinnern, wie sie zitternd und nach Njal rufend über den nassen Sand gewankt war.
    Diesmal blieb sie stumm. Er hatte vor einer Reihe riesiger Holzhaufen aus Balken, Planken, krummen Ästen und ganzen Baumstämmen innegehalten. Mit verschränkten Armen betrachtete er die Unordnung. Wie sich Caitlín ihm nähern sollte, wusste sie nicht so recht.
    Er nahm ihr die Entscheidung ab. »Glaubst du etwa, ich merke nicht, dass du mir nachläufst?«, sagte er – über die Entfernung hinweg leise, doch verständlich.
    Caitlíns Vernunft befahl ihr, schnellstens kehrtzumachen. Doch einen Augenblick später stand sie neben ihm. Nur noch wenige Schritte trennten sie. Nervös knetete sie ihre Hände, und auch er löste unruhig das Lederband, strich sich die Haare zurück und band sie neu.
    »Stört dich der Reif?«, fragte sie, um nur etwas zu sagen.
    Flüchtig berührte er das Eisen. Hatte es bei ihr locker auf dem Schlüsselbein aufgelegen, saß es bei ihm fest um den Hals. »Ein wenig.«
    Sie verfielen in Schweigen. Njal bückte sich, nahm einen knorrigen Eichenast in die Hand, drehte ihn und legte ihn wieder weg.
    »Du siehst nicht so aus, als wolltest du wieder flüchten, Caitlín. Kein Pferd weit und breit, außerdem bist du zu dünn gekleidet.«
    War sein Tonfall abweisend oder nicht? Und der ihre? Sie musste sich räuspern, um nicht schnippisch zu klingen. »Ich will nicht flüchten.«

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