Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
ihres Kupferhaars.
»Njal?«, fragte sie leise. »Ist das wahr?«
»Ja«, antwortete er.
»Warum hast du das nur getan?«, fuhr sie ihn an, und es gefiel ihm, dass sie trotz allem nicht davon lassen konnte, aufbrausend zu sein.
Wie sollte er ihr auf die Schnelle erklären, wie er zu dem Entschluss gekommen war, ein Thing einzuberufen? Er hatte abgewartet, gehofft, dass sich ihm irgendeine andere Lösung bot, hatte sogar gehofft, dass die Zeit ihm half – dass die Götter Thorir strafen und ihn im Meer versenken würden. Doch die unversehrte Rückkehr seines Halbbruders aus Kaupang hatte ihn eines Besseren belehrt.
Das Thing war eine Verzweiflungstat gewesen. Wer sollte ihm die Ungeheuerlichkeit glauben? Wer würde sie glauben wollen? Er hatte seine Hoffnung darauf gesetzt, dass sein Vater Caitlín mochte und ihrem Wort Gewicht verleihen würde.
Sie hatte ihn im Stich gelassen.
Er mochte ihr deshalb nicht zürnen. Ein Mensch, der so entwurzelt war wie sie, die sich in einem fremden, gefährlichen Land als Sklavin wiedergefunden hatte – der konnte in einem solchen Moment nicht mutig sein.
»Warum?«, drängte sie.
»Weil du mir viel bedeutest, Caitlín«, sagte er leise. »Auch wenn du mir das nicht glaubst: Es ist so.«
Ihre grünen Augen weiteten sich. Ihr Mund öffnete sich. Er sehnte sich nach einem versöhnlichen Wort von ihr, doch Thorir schob sich zwischen sie.
»Haukr!«, brüllte er über die Schulter, und der Schmied näherte sich mit stampfenden Schritten.
»Herr?«
»Nimm der Frau den Eisenring ab. Er hat lange genug ihre Schönheit beeinträchtigt. Lege ihn stattdessen meinem neuen Sklaven um.«
III.
SKLAVENSCHULTERN
14.
W ar es am schlimmsten, so träumte sie von daheim. Von den saftigen grünen Wiesen rund um Lionee. Von warmer Sonne auf der Haut. Von glitzernden Bächen. Davon, mit den Brüdern zu tollen. In ihren Träumen lief auch Hyld auf nackten Sohlen durch das saftige Gras, auf den zahnlückigen Fionnbarr zu, den sie mit sich zu Boden riss. Sie wälzten sich, küssten sich, und dann wanderten ihre Hände unter die Kleider. Unbemerkt schlenderte Caitlín an ihnen vorbei. Sie schaute nicht länger hin. Was kümmerten sie andere Liebende, wenn Njal vor ihr stand? Prächtig war er anzuschauen, mit einem kostbaren Eisbärfell um seine nackten Schultern. An seinem Arm glänzte ein breiter Goldreif. Im wahren Leben würde sie es nicht über sich bringen, in seine Arme zu fallen, aber im Traum tat sie es ohne Hemmungen. Er schob den roten Seidenstoff ihres Kleides über eine Schulter und liebkoste ihre bloße Haut. Sie warf den Lockenkopf in den Nacken. So sollte es auch sein, wenn ich nicht mehr träume , dachte sie. Aber gleich werde ich aufwachen, und dann …
Es war das Bedürfnis, Wasser zu lassen, das sie die Augen öffnen ließ. Caitlín setzte sich auf. Seit Langem hatte sie nicht mehr so gut geschlafen. Etwas war anders … Sie griff sich an den Hals. Das lästige Eisen war fort. Wie angenehm es doch war, es endlich wieder los zu sein! Sie schlüpfte in ihre Fellstiefel, zog ihr dicht gewebtes Kleid über das dünne Unterkleid und warf sich einen Otternpelzumhang um, den ihr Eirik vor Kurzem geschenkt hatte. Um sie herum herrschte morgendliche Geschäftigkeit. In der Küche rumorte Edana, und die freien Männer hatten sich am Tisch versammelt und schaufelten das Morgenmus in sich hinein.
Wie jeden Morgen kniete Caitlín vor ihrem Schlafpodest und faltete die Hände zum Gebet. Und wie jeden Morgen gab es irgendjemanden, der sich noch immer darüber lustig machte. Sie achtete nicht weiter darauf. Etwas wollte sich in ihre Erinnerung drängen, etwas Unangenehmes, aber sie schob es zurück. Sie betete noch inbrünstiger, erhob sich schließlich und sah nach Mutter Laurentia. Die Äbtissin schlief noch in einer Küchenecke.
»Schnarcht wie drei Männer und will nicht wach werden«, brummte Edana, die über den Kessel gebeugt stand. »Willst du wohl endlich das Feuer in Gang bringen?«, schnauzte sie eine andere Sklavin an, die sich auf den Knien abmühte, den Herd zu entzünden.
Caitlín überlegte, ob sie schon Eiriks Horn füllen sollte, aber so früh kam er selten herunter. Also eilte sie sich, die Latrine aufzusuchen, und ging anschließend zum Brunnen, um sich mit eiskaltem Wasser zu erfrischen.
Die Nacht hindurch war noch einmal eine dünne Schicht frischen Schnees gefallen. Im Licht der tief stehenden Sonne glitzerte es wie von unzähligen Edelsteinen. Auch wenn sie sich
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