Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
suchend blickte sie Mutter Laurentia an, aber die war wieder mit den Kräutern für Njal beschäftigt.
Mit einem kleinen Löffel fischte Caitlín fünf der winzigen Ephesus-Samen aus der Mischung heraus. Zum ersten Mal betrachtete sie die winzigen Körner genauer. Konnte eines mehr oder weniger über Leben und Tod entscheiden? Das war sicherlich übertrieben. Sie hob den Löffel an die Nase und roch daran.
Augenblicklich fühlte sie sich in Thorirs Kammer zurückversetzt, als sie nach dem Schiffsunglück auf seinem Bett aufgewacht war. Sie hatte sich umgesehen, hatte Spezereien gerochen, orientalische Düfte. Einen Hauch nur, einen Hauch … wie dieser.
Eine bange Ahnung kroch in ihr hoch und umschlang ihren Hals. Vergeblich versuchte sie sich zu beruhigen, indem sie sich sagte, dass nichts dabei sei, wenn Thorir Körner wie diese in seinem Gemach aufbewahrte. Natürlich, er hatte sie auf einer seiner Fahrten eigens für die Gesundheit des Hersen besorgt.
Doch der Gedanke fühlte sich nicht richtig an.
Sie ließ die winzigen Körner fallen. Sie verschwanden in dem Stroh und dem Abfall, der den Boden bedeckte.
Dann mischte sie den Trank fertig, ließ ihn eine Weile ziehen und brachte ihn dem Hersen in sein Schlafgemach. Er hatte sich aufgesetzt und rieb sich die müden Augen. Abwesend tätschelte er ihren Schopf.
»Du sollst wieder eine Münze bekommen«, brummte er. »Erinnere mich daran.« Aber er schien gar nicht zu begreifen, dass sie anwesend war. Eher als träumte er nur von ihr. Sowie er den Becher geleert hatte, ließ er sich wieder in die Kissen fallen und streckte alle viere von sich. Als Caitlín in die Küche zurückkehrte, war Mutter Laurentia mitsamt dem Trunk für Njal verschwunden. Gut. Auch Caitlín würde gleich nach ihm sehen, doch erst würde sie einen weiteren Trank der gleichen Art für den Hersen mischen. Einen, der ihn stärkte.
Edana kehrte zurück und lächelte Caitlín schief an, die das Lächeln dankbar erwiderte.
So hatte Caitlín von nun an zwei stärkende Arzneien herzustellen, eine für Njal und eine für seinen Vater. Zudem stieß Mutter Laurentia auf einen Beutel mit getrockneten Ringelblumen, aus denen sie einen Sud herstellte, mit dem Caitlín Njals Rücken betupfen sollte. Tatsächlich zeigte sich schon in den nächsten Tagen, dass Eirik frischer wirkte und immer öfter die Treppe herabstieg, um sich wie früher für Stunden auf seinem Thronstuhl niederzulassen. Auch wenn er auf ihm dann doch die meiste Zeit schlafend verbrachte, machte er nicht mehr den Eindruck, als sei er ständig betrunken und nicht Herr seiner Sinne. War er wach, brüllte er nach Patrick, dass dieser ihn mit einem Lied erfreue. Und spielte der Barde nicht zu seiner Zufriedenheit, so drohte er ihm leidenschaftlich, ihn zu rösten, zu pfählen oder auf dem Sklavenmarkt von Yddal zu verkaufen. Patrick freute sich über die Ausbrüche.
»Ganz der Alte wird er vielleicht nicht mehr werden«, sagte er zu Caitlín und zwinkerte ihr zu, »aber es tut gut, dass er sich wieder zu fangen scheint. Sogar die Hausherrin empfindet so etwas wie Freude darüber. Schaut sie Euch doch an!«
Caitlín fand, dass Álfdis’ Miene so undurchdringlich war wie eh und je. Vielleicht musste man ja länger mit ihr gemeinsam in diesem Haus leben, um zu erkennen, wie sich ihre Gefühle im Zucken eines einzigen Wangenmuskels niederschlugen.
Am Abend kletterte der Herse zurück in sein Bett und verlangte, Caitlín solle ihm den Nacken massieren und bei ihm sitzen, bis er einschlief. Sonst forderte er nichts von ihr, noch dass er sie gar bedrohte. Doch sie saß stets auf glühenden Kohlen, bis er endlich schnarchte und sie es wagen konnte, wieder in die Halle zurückzukehren. Wenn dann auch Álfdis nicht mehr zu sehen war, atmete sie tief durch.
Dann lief sie in die Küche, um einen Korb mit Brot, Fleisch, Käse oder Honigkuchen, Wasser und Ale zu füllen. Erst nach Einbruch der Dunkelheit, die immer später einsetzte, wagte sie sich hinaus.
Dieses Mal kam ihr auf halbem Wege zum Stall ein dunkler Schatten entgegen. Im Licht des Mondes erkannte sie Thorir. Sie zog sich die Kapuze ihres Umhangs tief in die Stirn, obschon sie wusste, dass sie das nicht unsichtbar machen konnte. Nun, mittlerweile war es kein Geheimnis mehr, dass Njal im Stall hauste, und sicherlich wusste Thorir auch, dass sie ihm allabendlich etwas zu essen brachte. Trotzdem musste sie allen Willen aufbringen, die Schultern zu straffen und weiterzugehen.
Thorir
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