Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
selbst einen Schluck des Heiltrunks und atmete tief durch.
Sie musste jemandem von ihrem Verdacht erzählen, sonst würde sie noch verrückt werden. Doch es gab nur zwei Menschen, welche die nötige Macht besaßen, Thorir Einhalt zu gebieten. Der Herse selbst und Álfdis.
Sie nahm das Horn und betrat die Halle. Die Hausherrin saß auf ihrem Platz und nähte. So versunken in ihre Arbeit, erinnerte sie Caitlín tatsächlich für einen winzigen Augenblick an Sif, die ebenso Borten bestickt hatte. Auch Álfdis muss mit ihrem hellblonden Haar einmal eine Schönheit gewesen sein und die Liebe Eiriks gewonnen haben , dachte Caitlín.
Machte einen das raue Leben hier wirklich so hart? Oder trug Álfdis eine andere Last mit sich herum?
Caitlín schloss kurz die Augen, um das Gefühl der Leichtigkeit herbeizuzwingen, das es ihr ermöglichen würde, vor Álfdis zu treten und ihr alles zu erzählen. Doch es wollte sich nicht einstellen. Stumm stellte sie sich vor die Frau des Hersen.
Langsam hob Álfdis den Kopf. Augenblicklich begann Caitlín zu frösteln.
»Ja?«, fragte die Hausherrin leise und doch schneidend.
Caitlín räusperte sich. »Ich habe eine Frage …«, versuchte sie Zeit zu gewinnen, um ihren Mut zusammenzunehmen. Doch plötzlich sprudelten die Worte aus ihr heraus: »Was sagt Ihr eigentlich dazu, dass Euer Sohn Thorir Njal dermaßen quält?«
Euer Sohn … Die Worte klangen wie ein Vorwurf. Unheilvoll zog Álfdis die Brauen zusammen.
»Er ist ein Mann«, erwiderte sie und starrte dann zur Seite: ein deutliches Zeichen, dass Caitlín ihr aus den Augen gehen sollte.
Caitlín machte, dass sie fortkam. Was hatte Álfdis’ Antwort zu bedeuten? Dass Thorir erwachsen war? Dass es einen Mann nicht kümmern musste, was eine Frau über ihn dachte, selbst wenn es die eigene Mutter war? Sie hatte keine Ahnung, war aber erleichtert, diese Begegnung ohne Blessuren überstanden zu haben, auch wenn sie nicht dazu gekommen war, Álfdis von ihrem Verdacht zu berichten.
Sie trug das Horn in Eiriks Gemach. »Ah, Rothaar«, begrüßte er sie erfreut. Früher als sonst war er wach und setzte sich auf. Obwohl sein Körper nicht mehr von kaltem Schweiß glänzte wie zuletzt, wirkte er gealtert und schwächlich. Sein Gesicht war aufgedunsen; der Bart stand ihm in alle Richtungen ab. »Gib her.«
Sie reichte ihm das Horn.
»Irgendwie schmeckt das Gebräu anders als früher«, sagte er zwischen zwei Schlucken. »Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.«
»Herr Eirik, es gibt da etwas, das ich Euch sagen …«
Er warf das Horn zu Boden. »Meinen Kopfschmerzen hilft dieser Trank allerdings nicht. Es ist schon eine Weile her, dass du mich zum letzten Mal massiert hast. Wozu besitze ich dich denn?«
»Bitte, ich …«
»Los, mach schon!«
Ergeben kroch sie auf das Bett und kniete sich hinter ihn. Wohlig stöhnte er auf, als sie ihre Daumen und Fingerspitzen in sein Fleisch grub.
»Darf ich Euch derweil eine Geschichte aus meiner Heimat erzählen?«
Er knurrte. »Wenn darin geköpfte Bogenschützen vorkommen, gern.«
»Nun, es kommen immerhin Schwertkämpfer darin vor. Ein Mann hatte zwei Söhne, die er beide liebte. Dennoch behandelte er sie nicht gleich, sodass der eine sich vernachlässigt fühlte. Er schlug sich tapfer in jeder Schlacht und hoffte so, seinen Bruder in der Gunst des Vaters auszustechen. Als sein Plan aber nicht aufging, beschloss er eines Tages, den Vater aus dem Weg zu räumen. Er vermengte sein Essen mit Gift …«
Eirik hob eine Pranke und winkte ab. »Lass gut sein, Rothaar. Zum Geschichtenerzählen taugst du wirklich nicht, da lausche ich dann doch lieber dem Skalden.«
Sie musste ihm Recht geben, wollte dennoch nicht aufgeben. »Könntet Ihr Euch denn vorstellen, dass sich solche Geschichten auch hierzulande zutragen? Ich meine, dass sie sogar wahr sind?«
Er schnaubte verächtlich. »Hier trägt man Fehden mit dem Schwert aus, nicht mit Gift.«
»Und würde ein Sohn auch mit dem Vater kämpfen?«
»Notfalls auch das. Aber das ist selten. Ich kannte einmal einen Bonden, der so einen Sohn hatte. Der hatte es jedoch nicht auf die Liebe des Vaters abgesehen, sondern auf die der jungen Stiefmutter. Lass mich überlegen, wie es sich zugetragen hat …« Er fuhr sich durch den vom Schlaf zerzausten Bart und begann ihn zu flechten. »Er behauptete, der Vater habe der Frau Gewalt angetan. Das allein ist ja noch nicht verwerflich, doch der Vater, so der Sohn, habe auch ihn geschlagen, als er
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