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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Toblerone-Dreiecke wird auch heute noch in Bern produziert,
obwohl die Firma inzwischen dem US -Nahrungsmittelkonzern
Kraft gehört.
    Trotz seiner bedeutenden Stellung in der
Schokoladengeschichte sieht und schmeckt man in Vevey nicht mehr viel vom früheren
Zauber der braunen Leckerei. Dafür muss man nach Broc fahren, wo heute noch die
älteste Schweizer Schokoladenmarke Cailler hergestellt wird. Zunächst mutet
eine Schokoladenfabrik mitten in der Pampa nordöstlich von Gruyères ein wenig
seltsam an, bis einem klar wird, dass es dort alles gibt, was ein altmodischer
Chocolatier benötigt – mit Ausnahme der Kakaobohnen natürlich. Fließgewässer,
um die Mühlen anzutreiben, eine Zugverbindung und – von entscheidender
Bedeutung! – massenhaft Gruyères-Kühe mit Milch im Euter. Die 1898
eröffnete Fabrik ist heute noch Hauptproduzent der Cailler-Schokolade, und die
Besichtigung ist empfehlenswert.
    Da Cailler im Gegensatz zu Lindt oder Suchard kaum
exportiert wird, ist der Name im Ausland weniger bekannt. Für alle mit
empfindsamem Gaumen aber ist sie das Beste vom Besten. Ich bin mit meiner
Familie zu diesem Tempel im Schokoladenhimmel gefahren, weil ich dort zu sehen
hoffte, wie sie entsteht. Leider aber ist der Herstellungsprozess aus
Sicherheits- und Hygienegründen nicht mehr Bestandteil der Fabrikbesichtigung,
doch zumindest riecht es überall nach Schokolade. Freudig gestimmt, weil die
Rezeptionistin eine »umfassende Degustation« am Ende der Führung in Aussicht
gestellt hat, machen wir uns an die Nichtbesichtigung der Fabrik.
    Eine bäuerlich gekleidete Frau erläutert uns den Weg
von der Kakaobohne zu einer Tafel Cailler. Jedes Jahr verbraucht allein diese
eine Fabrik 4000
Tonnen Kakao und 6800
Tonnen Zucker, dazu 7,2
Millionen Liter Milch von 58
Höfen der Umgebung. Mit einem Bissen Cailler verspeist man also tatsächlich ein
Stück Schweiz. Interessanterweise ist es die einzige Schweizer Schokolade, die
heute noch mit der frischen Milch hiesiger Kühe gemacht wird; alle anderen
Hersteller verwenden Milchpulver.
    Für Süchtige gibt es kaum einen schöneren Anblick als
einen Raum, in dem sich auf allen Tischen Schokolade stapelt. Hier findet die
»Degustation« statt, man darf sich nach Belieben bedienen – aus einer Auswahl,
die uns kurz die Sprache verschlägt. Zwei Sekunden später wagen wir uns an die
ersten Proben, und jeder kostet eine. Alle von Cailler hergestellten
Schokoladen, von den weißen Tafeln bis zu den dunklen Pralinen, liegen hier
aus, doch nach sechs oder sieben verschiedenen Sorten wird mir ein bisschen
flau im Magen. Oder liegt es daran, dass die achte Femina heißt? Auch wenn es sich um eine der ältesten Cailler-Markenpralinen handelt,
die bereits 1902
auf den Markt kamen, habe ich mit dem Namen meine Schwierigkeiten – er erinnert
mich zu sehr an einen Hygieneartikel, der ganz bestimmt nicht in den Mund
gehört. Also lasse ich Femina aus und gehe gleich zu Frigor über, obwohl auch diesem Namen jede Sinnlichkeit
fehlt. Gewiss sind andere Sorten besser geeignet, wenn man eine Frau mit
Schokolade verführen möchte.

Eine Nation Schokoladesüchtiger
    Cailler ist nur eine von vielen Schokoladenfirmen in
der Schweiz, die mit zwölf Kilogramm pro Person und Jahr das Land mit dem
weltweit höchsten Schokoladenkonsum ist. Zwei Dinge werden in dem Artikel auf
der Homepage von Chocosuisse dann eher beiläufig erwähnt. Jedes Jahr werden 30 000
Tonnen Schokolade in die Schweiz importiert, was klingt, als würde man Eulen
nach Athen tragen, aber vielleicht ist es ja ausschließlich Blockschokolade.
Und zweitens handelt es sich bei den zwölf Kilogramm um eine reine
Verkaufszahl, die nichts darüber aussagt, wie viel ein Schweizer tatsächlich
verzehrt. Darin ist nämlich auch all die Schokolade enthalten, die von den
Touristen als Mitbringsel erstanden wird. Nachdem ich einmal gesehen habe, wie
eine japanische Reisegruppe das Schokoladenregal im Supermarkt bis auf die
letzte Tafel geplündert hat, bin ich davon überzeugt, dass ein beträchtlicher
Anteil des hiesigen Schokoladenkonsums den Touristen zuzuschreiben ist. Oder
denjenigen, die – wie Chocosuisse es auf seiner Homepage ausdrückt – »nur über
die Grenze kommen, um Schweizer Schokolade einzukaufen«, also all den vielen
Deutschen, die sich für Weihnachten mit Lindt eindecken.

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