Der Schweizversteher
Familienkreis.
Oder das fondue bourguignonne , bei dem das Fleisch
nicht in Brühe, sondern in Ãl gebrutzelt wird. Aber so gern die anderen Fondue
essen, ich mag es nicht. Bis auf eins, das Schokoladenfondue, bei dem Obst- und
Kuchenstückchen in die süÃe Flüssigkeit getaucht werden. Dieses umwerfende
Schweizer Dessert ist die ideale Kombination aus Nationalgericht und dem
Produkt, für das die Schweiz womöglich am bekanntesten ist. Denn schlieÃlich
ist Milchschokolade eine Schweizer Erfindung, für die wir Daniel Peter danken
müssen. In mein Buch soll er als Heiliger eingehen, weshalb ich mich zu einer
Pilgerfahrt in seine Heimatstadt entschloss.
Die Geburtsstätte der Milchschokolade
Vevey ist nicht gerade der Ort, mit dem Sie eine
Kreation verbinden würden, die weltweit seit Jahrzehnten die Stimmung aufhellt,
und Sie würden dort auch nicht den Sitz der Firmenzentrale des weltgröÃten
Lebensmittelkonzerns vermuten. Die kleine Stadt mit dem riesigen Marktplatz
liegt nicht unweit von Montreux (s. Karte der Romandie) am Nordufer des Genfer
Sees und bietet eine Aussicht auf die französischen Alpen. Doch auÃer dass hier
tatsächlich Nestlé residiert, hat Vevey noch etwas AuÃergewöhnliches zu bieten:
Es ist die letzte Ruhestätte von Charlie Chaplin, dessen Statue die
Seeuferpromenade schmückt. Und er ist nicht der einzige groÃe Brite, der auf
dem winzigen Friedhof Corsier-sur-Vevey begraben liegt. Sein Nachbar ist James
Mason und quer über die StraÃe stöÃt man in Corseaux auf Graham Greene, was
diese Ecke der Schweiz auf immer zu englischem Territorium macht. Ich frage
mich, ob sie wohl alle Milchschokolade mochten oder nur von dem sonnigen Klima
und dem Seeblick bezaubert waren.
Das gröÃte Gebäude im Ort ist nicht gerade das
schönste, aber auch keine Monstrosität, was bei einem Konzerngiganten wie
Nestlé ja möglich wäre. Als der deutsche Emigrant Henri Nestlé 1866
die Firma gründete, war sie ausschlieÃlich auf Kondensmilch und Milchpulver für
Säuglinge spezialisiert, ein Produkt, das bei nestlékritischen Aktivisten heute
noch für Kummer sorgt. Inzwischen gehören Nestlé so viele Marken, dass es
praktisch ein Supermarkt geworden ist: Perrier, Mövenpick, Maggi, Felix und
Buitoni, um nur ein paar Namen zu nennen. Ende der 1980er-Jahre hat Nestlé
auch Rowntree geschluckt, einen der ältesten britischen SüÃwarenhersteller â
sechzig Jahre nachdem Daniel Peters Schokoladenfabrik dasselbe Schicksal
ereilte. Worauf es aber vielleicht von Anfang an zulief, denn schlieÃlich war
die Erfindung der Milchschokolade Ergebnis der Nachbarschaft von Peter und
Nestlé.
Der Sohn eines Fleischers war ursprünglich
Kerzenmacher, bevor er durch die Ehe mit der Tochter von François-Louis
Callier, der bereits vor Ort eine Schokoladenfabrik besaÃ, in die Welt der
Schokolade eintauchte. Damals war Schokolade noch nicht die sahnige, auf der
Zunge schmelzende Sinnenfreude, die heutzutage so beliebt ist, sondern im
Wesentlichen mit Zucker gemischte Kakaomasse. Und ganz und gar nicht billig.
Peters Geniestreich war es, Milch hinzuzufügen, was die Schokolade
schmackhafter machte und die Kosten reduzierte. Ohne eigene Kolonien musste die
Schweiz den notwendigen Zucker und Kakao teuer importieren, doch Milch gab es
hektoliterweise direkt vor der Haustür. Peters erste Versuche schlugen fehl,
weil normale Milch zu wässrig war, aber glücklicherweise hatte er gleich
nebenan Nestlé mit der dickeren Kondensmilch. Es kam zu einer Verbindung, die
im Himmel geschlossen wurde â oder zumindest in Vevey anno 1875.
In den folgenden Jahrzehnten festigte die Schweiz
ihren Ruf als bester Schokoladenhersteller der Welt. Gut betuchte ausländische
Touristen trugen das Ihre dazu bei, indem sie das Produkt mit nach Hause
nahmen. Ganz wie die Touristen heutzutage, nur dass es damals viel weniger
waren. Zu den Herren Cailler und Peter, die schon lange zu einer Firma
verschmolzen waren, gesellten sich in Neuchâtel Monsieur Suchard und in Bern
Herr Lindt und Herr Tobler, der die vielleicht bekannteste Marke schuf.
SchlieÃlich gibt es wohl keinen Duty-free-Shop auf der Welt, in dem man nicht
seine dreieckige Kreation erhält, deren Form von einer Tänzerinnenpyramide in
den Folies Bergère inspiriert war. Jedes einzelne der jährlich verkauften
sieben Milliarden
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