Der Schweizversteher
Was vielleicht der
Grund dafür ist, dass es in den Schweizer Supermärkten eine solch riesige
Auswahl gibt.
Mein Coop um die Ecke zählt zu den eher kleinen, in
den sich nur wenige Touristen verirren, aber selbst dort gibt es ungelogen 84
verschiedene Sorten. Und zwar ohne Schokoriegel wie Twix oder Mars, nein, ich
habe nur die normalen 100-
Gramm-Tafeln gezählt.
Der heimische Verbrauch der Gesamtproduktion liegt
indes lediglich bei 40
Prozent, der Rest der Schweizer Schokolade wird ins Ausland, vor allem nach
Deutschland und GroÃbritannien exportiert. Die Welt liebt Schweizer Schokolade.
Doch trotz ihrer unangefochtenen Stellung als Ikone ist die
Schokoladenproduktion als Industriebranche in der Schweiz eher unbedeutend. Sie
erwirtschaftet mit gerade einmal 4500 Beschäftigten einen jährlichen Umsatz von
1,8
Milliarden Franken und verbraucht, was mich am meisten verblüfft hat, nur ein
Prozent der jährlichen Kakaoernte. GröÃe spielt in dem Fall tatsächlich die
entscheidende Rolle, und hier heiÃt es: je kleiner, desto feiner.
Auch wenn die Schweizer Marken zu den weltweit bekanntesten
zählen, schmecken sie wirklich besser? Ich habe einen Geschmackstest
durchgeführt, bei dem vier Schweizer und zwei britische Schokoladen blind
verkostet wurden. Zwar behaupten Schokoladensnobs, dass nur die dunkle (mit 70
Prozent Kakaoanteil) etwas taugt, aber da drei Viertel der in der Schweiz
konsumierten Schokolade Milchschokolade ist, habe ich mich darauf beschränkt.
Neben den drei bekannten Schweizer Marken Cailler, Lindt und Frey habe ich noch
die billigste Eigenmarke von Coop testen lassen, Prix Garantie. Aus
GroÃbritannien nahmen Dairy Milk und Green & Blackâs teil. Meine vierzig
Berner Freiwilligen waren zum groÃen Teil Schweizer; ein Drittel allerdings
stammte aus dem Ausland, was die Sache umso interessanter machte. Bei der
Blindverkostung wurden Geschmack und Konsistenz jeder Schokolade nach einem
Punktesystem beurteilt. Und der Gewinner ist â¦
Cailler, und zwar ganz eindeutig. Offenbar zahlt es
sich aus, echte Milch anstatt Pulver zu nehmen: Die Leute schmecken den
Unterschied. Ãberraschend war dann, dass Prix Garantie von Coop den zweiten
Platz belegte. Bei den Ausländern lag sie sogar gleichauf mit Cailler, die
Schweizer werteten sie als ebenbürtig mit Lindt. Dass sie nur ein Viertel so
viel kostet wie die anderen, ist der Beweis dafür, dass in der Schweiz nicht
alles Gute teuer sein muss. Die britische Schokolade hingegen schnitt
enttäuschend ab. Auch wenn es ein paar Dairy Milk-Fans gab (darunter zwei
Schweizer), belegten die britischen Marken nur die letzten beiden Plätze, auch
bei den Ausländern.
Dann eben Cioccolata
Da mir Cailler den Blick in seine Schokoladenkessel
verwehrt hatte, suchte ich nach einer Alternative â ein schwieriges
Unterfangen. Seit Suchard seine Produktionsstätte in Neuchâtel geschlossen hat,
wird Schokolade dieses Hauses nur noch in Deutschland, Frankreich und
Ãsterreich hergestellt, und zwar mit Milch aus Neuseeland! Die lilafarbene
Milka-Kuh ist definitiv keine Schweizerin. Tobler und Lindt erlauben, beide aus
einer Reihe unterschiedlicher Gründe, keine Besichtigung ihrer Fabriken. Gerade
als ich schon alles verloren glaubte, machte mir die Chocosuisse-Homepage
Hoffnung auf mein goldenes Ticket in die Schokoladenfabrik. Denn dort wurden
fünf mögliche Besichtigungen angeboten, allerdings eine zu Cailler und drei andere
nur für Gruppen oder an einem Mittwoch oder mit einer vorher ausgestellten
schriftlichen Genehmigung. Was nur eine Möglichkeit übrig lieÃ. Und so setzte
ich mich in einen Zug und wagte mich in den tiefen Süden. Obwohl die groÃen
Schweizer Schokoladennamen deutsch oder französisch sind, begab ich mich auf
die vierstündige Fahrt von Bern nach Lugano. Quasi aus heiterem Himmel, aber
mit durchaus angenehmer Aussicht: Ich würde das italienisch-schweizerische
Leben und dazu cioccolata genieÃen können. Tessin,
ich komme!
In einem Land voller Anachronismen und Widersprüche
hat das Tessin wohl die meisten davon zu bieten. Dieser südlichste Kanton sieht
hundertprozentig italienisch aus, er klingt und wirkt auch so und ist dennoch
sehr, sehr schweizerisch. Dass man nicht in Italien ist, sieht man an den
sauberen StraÃen, auÃerdem fahren die Züge pünktlich, und die Kellner sprechen
bereitwillig Deutsch. Aber nach ein paar Stunden
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