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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Schweizerischen Bundesbahnen ( SBB ).
British Rail entstand erst fünfzig Jahre später, nur um weitere fünfzig Jahre
später wieder abgeschafft zu werden. Die Briten mögen die Eisenbahn erfunden
haben, aber wie man sie betreibt, ist ihnen ein Rätsel geblieben. Da müssten
sie bei den Schweizern in die Lehre gehen.
    Eher ein Nebeneffekt des neuen Schienennetzes war die
Entwicklung der Schweiz zum Urlaubsland. Mit dem neuen Verkehrsmittel konnten
Besucher aus dem Ausland diese bislang schwer zugängliche Gebirgsregion ohne
übergroßen Aufwand an Zeit und Geld erreichen. Und dank den Zügen eroberten die
Schweizer nicht nur das Land, sondern erschlossen sich auch neue
Einkommensquellen. Für sie blieben Eisenbahn und Tourismus untrennbar
verknüpft.

Touristen verladen
    Eine Reise in die Schweiz wurde für viele
Mittelschichtbürger des viktorianischen England ein erfüllbarer Traum. Ein
rasanter Anstieg der Besucherzahlen von den Britischen Inseln brachte die
Schweizer Tourismusbranche in Gang, nicht zuletzt weil Urlauber Geld ausgaben
und es immer noch tun. Mit rund acht Millionen Besuchern jährlich ist der
Tourismus in der Schweiz ein erheblicher Wirtschaftsfaktor und ein großer
Arbeitgeber. Nirgends zeigte sich die jüngste Wirtschaftskrise deutlicher als
an den leeren Betten und Restaurants der Erholungsorte. Der einzige Lichtblick
war, dass die Schweizer selbst ihre besten Kunden sind und als Urlauber im
eigenen Land doppelt so viel Geld ausgeben wie die Fremden. Aber damals, im 19.
Jahrhundert, ging es nicht nur ums Geld. Hotels schossen wie Pilze aus dem
Boden, Schaufelraddampfer traten ihre Jungfernfahrt an, und aus Bergbauern
wurden Bergführer, um Mr. und Mrs. Smith aus Surrey schöne Tage zu bereiten.
Und mit dem Bau der ersten europäischen Zahnradbahn auf die Rigi bei Luzern
folgte auch die Bahn dem Ruf der Berge, wodurch die Engländer es fortan noch
bequemer hatten. Die Schweizer Alpen wurden zur modernen Touristenattraktion.
    Mit seinen 1797 Metern ist das Rigi-Massiv weder
besonders hoch noch besonders steil oder überragend schön. Dennoch hat die Rigi
Besucherströme angelockt, seit Urlauber die Schweiz besuchen. Nicht wegen des
Berges an sich, sondern wegen des Ausblicks. Die »Königin der Berge« erhebt
sich wie eine wasserumspülte Insel im Herzen der Schweiz, fast rundum umgeben
vom Vierwaldstätter See und vom Zuger See (siehe Karte vom Vierwaldstätter
See). Das 360-Grad-Panorama
umfasst die gesamte Bergwelt der Schweizer Alpen, vom Säntis im Osten bis zum
Berner Oberland im Westen. Für Touristen früherer Jahrhunderte war es der
absolute Höhepunkt einer Schweiz-Reise, den Sonnenaufgang auf dem Gipfel der
Rigi zu erleben. Mark Twain hat ihn beschrieben, Thomas Cooks erste Reisegruppe
bestieg dafür das Massiv, und Königin Viktoria genoss den Luxus, sich in einer
Sänfte hinauftragen zu lassen. Heutzutage sind menschliche Lastesel schwer
aufzutreiben, aber Sie können immer noch auf Schusters Rappen zu Berge ziehen,
wenn Sie vier Stunden übrig haben. Noch besser nehmen Sie den Dampfer von
Luzern nach Vitznau und fahren in einem historischen Transportmittel hinauf.
    Nachdem der kleine rote Zug die letzten Häuser und
einen Tannenwald passiert hat, rattert er über Blumenwiesen und felsige Hänge
zum Gipfel hinauf. Die angenehme halbstündige Fahrt begeistert die Menschen
seit dem 21.
Mai 1871.
    Ich bin also nicht der Erste und nicht der Letzte, der
gierig den Anblick schimmernder Seen vor einem Gebirgspanorama aufsaugt. Und
ich bin sicherlich auch nicht der Einzige, der keinen Blick für die
revolutionäre Technologie hat, die unter meinen Füßen am Werk ist: eine
Zahnradbahn mit auf den Schwellen befestigten Zahnstangen. Dies hat die
Eroberung der Rigi erst möglich gemacht, obwohl die ersten Bahnen es nicht ganz
bis zum Gipfel geschafft haben. An der Technik hat es allerdings nicht gelegen,
sondern am politischen System.
    Manchmal vergessen die Schweizer, dass sie als Nation
unaufhörlich den Konsens suchen, und lassen zu, dass der Kantönligeist den
gesunden Menschenverstand besiegt. Die Rigi ist dafür ein gutes Beispiel. Da
das Massiv auf der Grenze zwischen den Kantonen Luzern und Schwyz sitzt, hatte
jeder Kanton einer anderen Firma die Konzession erteilt. Deshalb führte die
erste Linie von Vitznau im Kanton Luzern nur bis an die Grenze unterhalb vom
Gipfel. Auf der

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