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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Offensive und veröffentlichte eine Statistik, nach der in der ersten
Jahreshälfte »nur« jeder fünfte Fernzug verspätet gewesen ist.
    In der Schweiz wird Pünktlichkeit streckenweise
strenger definiert als anderswo. Meist findet die europäische Norm von weniger
als fünf Minuten Anwendung (bei der Deutschen Bahn weniger als sechs), doch auf
der Hauptstrecke Bern–Zürich haben sich die SBB ein
Dreiminutenziel gesetzt – und es in 92,4 Prozent der Fälle erreicht. Der Rest der
Welt kann da nur staunen.
    Die Schweiz ohne Bahn wäre wie Amerika ohne Highways
und England ohne Staus. Mehr oder weniger unvorstellbar. Züge gehören ebenso
zum Landschaftsbild wie blumengeschmückte Berghütten und Kühe mit Glocken um
den Hals; man hat fast das Gefühl, die Eisenbahn wäre eine alpenländische
Erfindung. Doch das ist keineswegs der Fall.

Wie alles begann
    Die Schweiz war weder das erste Land, das ein
Schienennetz aufbaute, noch das schnellste, aber nachdem es sich für die
Eisenbahn entschieden hatte, war es nicht mehr dasselbe. Dass ein Zug die Berge
bezwingen kann, indem er entweder hinauf- oder unter ihnen hindurchfährt, hatte
tief greifende Auswirkungen auf das Leben in der Schweiz. Da Reisen nur noch
Stunden statt Tage dauerten, waren Täler nicht länger abgeschieden und das Land
nicht mehr durch die Alpen zweigeteilt. Es kam so weit, dass Menschen ihren
Heimatort verließen und anderswo hinzogen, was für viele Schweizer heute noch
ein großer Schritt ist, ganz zu schweigen von vor 150 Jahren. Wichtiger noch,
das Binnenland konnte zügiger denn je zur Außenwelt Kontakt aufnehmen, die
fehlenden Rohstoffe ein- und fertige Produkte ausführen.
    Der Nachteil war, dass Branchen wie die Schweizer
Textilindustrie nicht mit den Billigimporten konkurrieren konnten und unter die
Räder kamen. Vorteilhaft wirkte sich aus, dass die Anbindung an einst ferne
Seehäfen aus der Schweiz eine starke Handelsnation machte. Ohne die Eisenbahn
wäre vielleicht nie eine Schweizer Schokoladenindustrie entstanden.
Schreckliche Vorstellung.
    Die weitreichenden Folgen sind immer noch zu
besichtigen. Bahnlinien führen in die entlegensten Winkel des Landes, und das
Schienennetz gleicht einer Darstellung des Blutkreislaufs. Die großen West-Ost-
und Nord-Süd-Arterien versorgen die Regionalverbindungen, die sich in noch
kleinere Lokalverbindungen verzweigen, welche berg- und talwärts führen.
Dutzende Privatbahnen arbeiten nicht gegen-, sondern miteinander, um ein
geschlossenes, rentables Netz zu schaffen. Wie praktisch jeder Teil der
Schweizer Gesellschaft sind die Bahnen ein Musterbeispiel für Kommunikation und
Kooperation, das meisterhaft funktioniert. Ein Schweizer reist im Durchschnitt
jährlich 2258
Kilometer mit der Bahn, bei Weitem die höchste Rate der Welt, und 2,3mal so
viel wie ein Deutscher.
    Das Paradoxe ist, dass das moderne Musterländle der
Bahnfahrer seit seinen zögerlichen Anfängen einen enormen Aufschwung genommen
hat. Anders als die Briten und die Deutschen, die im 19. Jahrhundert mit
Volldampf vorausfuhren, ließen es die Schweizer langsam angehen. Sie begegneten
der neuen Technologie nicht nur wie gewohnt mit übergroßer Vorsicht, sie
konnten sich auch wegen kantonaler Querelen zunächst nicht auf die Rechte und
Genehmigungen für den Streckenbau verständigen. Die Folge war, dass der erste
Schweizer Bahnhof 1845
und damit zwei Jahre vor der ersten eigenen Bahnstrecke eröffnet wurde – eine
Laune der Geschichte, denn es waren die Franzosen, die den Bahnhof Basel als
Endstation ihrer Elsasslinie errichteten. Die Schweizer Kantone stritten sich
weiter, bis 1847
schließlich die »Spanisch-Brötli-Bahn«, eine erste kurze Bahnstrecke zwischen
Baden und Zürich eröffnet wurde. Danach passierte sieben Jahre lang nichts
mehr.
    Damals hätte niemand zu träumen gewagt, dass das
Schweizer Schienennetz 150
Jahre später das meistgenutzte und berühmteste der Welt sein würde; eher sah es
danach aus, als würde die Bahn nie in Fahrt kommen. Aber dann stellten sich
Privatunternehmen der Herausforderung und verlegten Gleise, gruben Tunnel und
bauten Brücken, die die Alpen bezwingen sollten. Ironischerweise verstaatlichte
die Schweiz ihre Bahn, sobald sie deren Bedeutung erkannte. Eine
Volksabstimmung («Die Schweizer Bahn dem Schweizer Volk«) billigte 1898
die Gründung der

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